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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Höfen spross und grünte es üppig, die Mauern der Gebäude waren mit wildem Wein bewachsen, dahinter leer wie eine morgendliche Landstraße die Startbahn. Überall spürte man den Verfall. Ernst selber erinnerte an einen Armeedeserteur, der zurückgeblieben war und sich nun in den Lebensmitteldepots versteckte, in Erwartung des Tribunals. Er schloss eine Eisentür auf und ließ mich eintreten. Es handelte sich um die ehemalige Kantine, in der, so durfte man annehmen, das Personal verpflegt worden war. Ich stellte mir vor, wie die wagemutigen Piloten, die Asse der Agrarluftfahrt, nach gefährlichen Einsätzen über dem endlosen Maisozean hierher zurückkehrten, in den stillen und behaglichen Hafen, wo treue Mechaniker, weise Fluglotsen und warmer Kompott warteten. Der Saal war weitläufig, unzählige alte Tische und Blechstühle standen herum. An den Wänden hingen Propagandaplakate, die die Stärke und die Unbezwingbarkeit der Roten Luftwaffe demonstrieren und die Zivilbevölkerung außerdem von der Zweckmäßigkeit chemischen Spritzens der Feldkulturen in Friedenszeiten überzeugen wollten. In den letzten zwanzig Jahren hatte sich hier kaum etwas verändert. Nur dass ich inzwischen ein Bundeswehrhemd trug und Ernst eine britische Feuerwehruniform.
    Ernst bat mich an einen Tisch, holte irgendwo einen Zehnliter-Blechkanister hervor, setzte sich mir gegenüber, stelle den Kanister unter seinen Stuhl, kramte aus der Tasche zwei Gläser, die am Boden mit roter Ölfarbe markiert waren, und stellte sie auf den Tisch. Ich sah hinein. Bei meinem Glas stand auf dem Boden eine Sieben, bei seinem eine Zwölf. Ernst hob den Kanister, machte ihn auf und schenkte Rotwein ein.
    – Das ist Wein, – sagte er und reichte mir das Glas. – Selbst gemacht. – Wir stießen an. – Aus Weintrauben, die hier wachsen. Man kann sagen, das ist alles, was von der sowjetischen Luftfahrt geblieben ist.
    – Sie ruhe in Frieden, – sagte ich und leerte mein Glas.
    Der Wein war herb und heiß.
    – Was soll ich dir sagen, Hermann, – Ernst trank sein Glas ebenfalls leer und schenkte nach. – Vielleicht ist das von allem, was sie angestellt haben, das Schlimmste. Ohne Flugzeuge kann es keine Demokratie geben. Flugzeuge sind die Grundlage der Zivilgesellschaft.
    Ich schlug vor, darauf zu trinken. Ernst willigte ein. Ein Unbeteiligter hätte wohl geglaubt, wir tränken Benzin.
     
    – Wie geht es Schura? – fragte Ernst nach einer Pause.
    Während er einschenkte, hatte sich unbehagliches Schweigen ausgebreitet. Ich wusste nicht, was man bei solchen Gelegenheiten sagt. Offenbar hatte er meine Nervosität gespürt und versuchte nun, das Gespräch auf ein neutraleres Thema zu lenken.
    – Alles in Ordnung, – antwortete ich. – Spielt Fußball.
    – Fußball? – wunderte sich Ernst. – Spielt er etwa noch?
    – Die spielen alle noch. Gestern haben wir gegen die Gasler gewonnen.
    – Wie meinst du – alle?
    – Na ja, alle, mit denen ich früher gespielt habe. Python, der Schaffner, Andrjucha Michael Jackson. – Ernst schaute mich ungläubig an. – Die Brüder Ballerlajeschnykow, – fügte ich schon unsicherer hinzu.
    – Die Ballerlajeschnykows? – fragte Ernst zurück. – Sind das nicht die, die vor paar Jahren in ihrem eigenen Kino verbrannt sind?
    – Was heißt verbrannt? Ich habe gestern mit ihnen Fußball gespielt.
    – Na ja, – sagte Ernst bedächtig, – wann hat das schon jemanden davon abgehalten, Fußball zu spielen. Also, wie geht es Schura? – fragte er wieder.
    – Alles in Ordnung, – sagte ich. – Er wollte nicht, dass ich hierherfahre. Die ganze Geschichte mit deinen Panzern sei totaler Stuss.
    – Das hat er gesagt?
    – Das hat er gesagt.
    – Und hat er auch über die Panzer gesprochen?
    – Ja.
    – Hm, – seine Miene verdüsterte sich. – Schura ist ein impulsiver Mensch, – sagte er schließlich. – Das ist sein Charakter – kann sich nicht lange auf eine Sache konzentrieren. Mit Frauen hat er dasselbe Problem, weißt du das? – Er sah mich fragend an.
    – Ich hab’s geahnt.
    – Und weißt du, – fügte Ernst plötzlich hinzu, – dass es Schura war, der mir vor paar Jahren geholfen hat, drei deutsche Grenadiere auszugraben?
    – Wie – auszugraben?
    – Na, – Ernst wusste nicht, wie er es erklären sollte. – Aus der Finsternis des Vergessens. Ich habe sie mit dem Minensucher geortet. Sie hatten eiserne Zahnkronen, und die schlugen an. Schura war übrigens sofort bereit zu helfen. Ich denke,

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