Die Erfindung des Jazz im Donbass
ließ ihn aber nicht weiterreden und umarmte den kleinen Nikolaitsch fest und brüderlich, zeigte mit meinem ganzen Gehabe, wie toll es war, dass sie mich gefunden hatten. Der Wein schäumte in meinem Kopf.
Nikolaitsch verstand die Welt nicht mehr. Er hatte sich unser heutiges Treffen wohl anders vorgestellt und sich auf ein langes und unangenehmes Gespräch vorbereitet, und da schlug ihm diese aus ganzem Herzen demonstrierte Abwesenheit jeglicher kommunikativer Barrieren entgegen.
– Wir haben Sie gesucht, – sagte er schließlich. – Fahren wir? – fügte er hinzu und zog sich vor mir in die Ecke zurück.
– Nur los, – sagte ich unbekümmert.
– Die Tür! – schrie mir Kolja vom Fahrersitz zu.
– Fick dich, – antwortete ich ihm genauso unbekümmert.
Es wurde still. Nikolaitsch machte sich klein, Kolja schnaubte am Steuer, ich grinste sie freundlich an und versuchte zu zeigen, wie ich mich freute, dass sie mich gefunden hatten.
– Kolja! – Nikolaitsch hielt es nicht mehr aus.
Kolja stieg wortlos aus dem Wagen, ging um ihn herum und knallte die Tür auf meiner Seite zu. Setzte sich ans Steuer, und wir fuhren los. Wir kamen auf die Landstraße, bogen in Richtung Stadt ab. Das war ein gutes Zeichen, sie hatten also nicht vor, mich jetzt gleich im Mais zu begraben.
– Wie geht’s? – nahm Nikolaitsch das Gespräch auf.
– Super, – antwortete ich. – Wir haben gestern gegen die Gasler gewonnen.
– Wirklich? – Sein Gesicht verfinsterte sich. – Und wann geht’s nach Hause?
– Ich weiß nicht, – antwortete ich. – Ich will noch eine Weile bleiben.
– Wirklich?
– Mhm. Ich muss den Papierkram regeln.
– Wirklich? – Auch Nikolaitsch versuchte liebenswürdig zu sein. – Haben Sie das wirklich nötig, Hermann? Fahren Sie zurück nach Hause.
– Nikolaitsch, – fragte ich ihn plötzlich, – sagen Sie, wurden Sie als Kind oft verprügelt?
– Wieso? – Nikolaitsch wurde hellhörig.
– Ihr Körperbau, na ja, spricht nicht gerade für eine Kämpfernatur. Welche Schuhgröße tragen Sie?
– Neununddreißig, – antwortete nervös Nikolaitsch. – Niemand hat mich geschlagen, – fügte er hinzu. – Ich habe es immer geschafft, mich zu einigen.
– Und mich hat man ein paar Mal verprügelt, – gestand ich. – In der Gruppe. Ich habe auch welche verprügelt. Aber, schauen Sie, wie interessant: Ich erinnere mich an diese Schlägereien ohne Ärger oder Groll. Und wissen Sie warum? Weil wenn du dich mit jemandem schlägst und dabei eins auf den Deckel kriegst, dann hat das nichts Beleidigendes. Es war ja ein offener Kampf. Was könnte daran beleidigend sein? Verstehen Sie mich?
– Ich verstehe, – antwortete Nikolaitsch. – Sie wollen sich also nicht mit uns einigen?
– Nein.
Der Jeep fuhr über einen Bahnübergang. Die Gleise blitzten im Mondschein auf.
– Kolja! – rief Nikolaitsch plötzlich.
Kolja bremste und stellte den Motor ab. Wir hielten direkt auf den Gleisen. Aus dem Schrankenwärterhäuschen kam ein Typ in orangefarbener Weste angerannt, aber als sich Kolja aus dem Fenster lehnte und ihm etwas sagte, zog der Wärter den Kopf ein und trottete zurück in sein Häuschen.
– Hermann, – fuhr Nikolaitsch kühl fort, vielleicht war es eine für solche Fälle vorbereitete Rede, – wissen Sie, ich bin Geschäftsmann und habe mit verschiedenen Partnern zu tun. Aber am wenigsten Spaß macht es mir mit Partnern zu arbeiten, die . . .
Das Signal am Wärterhäuschen begann zu blinken und kündigte an, dass ein Zug sich näherte. Die Schranken senkten sich und schlossen den Wagen von beiden Seiten ein. Kolja stieß vor Überraschung einen Pfiff aus, auch Nikolaitsch wurde nervös, wollte aber seine Verwirrung nicht zeigen und fuhr fort:
– . . . die nicht zu einer Einigung fähig sind, verstehen Sie, Hermann?
– Was soll ich verstehen?
– Verstehen Sie, was ich sagen will?
– Nicht ganz.
– Ich versuche es zu erklären . . .
– Nikolaitsch, – fiel ihm Kolja ins Wort.
– Die Sache ist die . . . – Nikolaitsch versuchte, ihn nicht zu beachten.
– Nikolaitsch, – Kolja sprach eindringlicher, seine Stimme klang jetzt alarmiert.
– Kolja, fick dich, – raunzte Nikolaitsch. – Also, – er wandte sich wieder zu mir und versuchte sich zu erinnern, an welcher Stelle er unterbrochen wurde, – was ich Ihnen sagen wollte . . .
– Sie gestatten? – fiel ich ihm ins Wort.
Schon eine ganze Weile war mir übel, der Wein wollte
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