Die Erfindung des Jazz im Donbass
Vorarbeiter den Versehrten vorsichtig an.
– Hey, Schura, – seine Stimme klang trocken und ängstlich, – fickt euch. Verschwindet.
– Und wie war das mit dem Abseits? – fragte der Versehrte für alle Fälle.
– Da war kein Abseits, – zerstreute der Vorarbeiter seine Zweifel. – Kein Abseits.
*
Mitten in der Nacht erreichten wir die Landstraße. Der Mond kam uns schon entgegen und beleuchtete mit gelbem Licht den Innenraum des Busses. Sein Schein lag auf den Gesichtern meiner Freunde, von denen die meisten schliefen. Im Halbdunkel lagen ihre Augen tief in den Höhlen und trugen Schatten, die Backenknochen traten spitz hervor und die Köpfe baumelten demütig von den Schultern. An der Tankstelle bremste der Fahrer. Ich winkte, aber alle schliefen, so dass ich mich von niemandem verabschieden konnte. Nur der Versehrte kam und drückte mir die Hand. Aber auch er sagte nichts. Ich sprang auf die Erde. Die Tür schloss sich. Der Bus fuhr an und verschwand zwischen den Bäumen.
6
Ernst rief selbst an. Ohne dass ich überhaupt schon wieder an ihn gedacht hätte, rief er an, um zu fragen, wann ich käme. Ich versuchte, das Treffen zu verschieben, erklärte, ich sei heute beschäftigt, müsse einen wichtigen Termin wahrnehmen, auf einen speziellen Kunden warten, ich bot ihm an, wir könnten uns ein andermal treffen. Ernst hörte geduldig zu und sagte schließlich:
– Hermann, manchmal weiß man nicht, was es ist, das man absagt. Deswegen ist es manchmal besser, erst gar nicht abzusagen. Verstehst du?
– Ich verstehe, – sagte ich.
– Wann kommst du?
– Passt dir um zwei? – Ich gab meinen Widerstand auf.
– Halb zwei, – antwortete Ernst und legte auf.
Ich ging zum Versehrten. Er hörte mich an, regte sich künstlich auf, anstatt ihm zu helfen, würde ich einen Scheißdreck treiben und mich mit diversen Schwänzen einlassen, er fahre mich nirgendwohin, und ich solle endlich zur Vernunft kommen.
– Hermann, – schrie er, – was willst du mit einem Panzer anfangen, sag schon?!
– Mähen werd ich damit, – antwortete ich gereizt. – Ist dir das Benzin zu schade?
– Ach papperlapapp, – antwortete der Versehrte, zog die schmutzigen Handschuhe aus und ging hinaus, um sein Auto zu starten.
Wir fuhren schweigend. Schweigend erreichten wir das Tal, überquerten die Brücke, fuhren in die Stadt. Der Versehrte nickte hin und wieder vorübergehenden Frauen zu, die ihn erkannten. Wir fuhren am Busbahnhof und am Getreidespeicher vorbei und kamen an den Bahnübergang. Schura hielt an und sagte:
– So. Weiter fahre ich nicht. Ich will dort nicht gesehen werden.
– Was ist los?
– Ich hab dort eine Bekannte, – erklärte der Versehrte, – sie glaubt, ich wäre in Polen. Ich hab ihr gesagt, ich hätte dort geschäftlich zu tun, verstehst du? Ich will nicht auffliegen. Du gehst zu Fuß weiter, es ist nicht mehr weit.
– Ich weiß, – antwortete ich und öffnete die Tür.
Auf die Vorstadt folgten vereinzelte Häuser, danach kamen Felder, es gab immer weniger Menschen und immer mehr Tiere. Kühe weideten, mit Stricken fest am Boden angebunden wie Zeppeline. Der Weg, der von der Landstraße zum Flugplatz führte, war völlig zugewachsen, die Pappeln standen einsam und verlassen. Das Eisentor an der Einfahrt war verrostet, die schwarzen Metallsterne hingen herab wie erloschene Planeten. Als ich mich dagegendrückte, knarzte das Tor schwer und gab nach. Drinnen stand Ernst. Offenbar hatte er mich kommen sehen und wartete nun in voller Montur. Er trug eine britische Feuerwehrjacke über einem schwarzen Militärunterhemd und Jeansshorts, die von einem deutschen Gürtel mit der Inschrift »Gott mit uns« gehalten wurden, außerdem Turnschuhe. Er sah aus wie ein Fan von Iron Maiden. Kam auf mich zu und drückte mir wortlos die Hand.
– Gut, dass du gekommen bist, – sagte er.
– Damit gleich klar ist, – er sollte begreifen, was mich der Weg hierher gekostet hatte, – es wäre trotzdem besser gewesen, wir hätten unser Treffen verschoben.
– Alles eine Frage der Zeit, Hermann, der Zeit, – antwortete Ernst Thälmann darauf. – Wer weiß, wie viel dir davon noch bleibt.
– Was willst du damit sagen? – fragte ich verständnislos.
– Man muss durch die Türen gehen, die sich auftun.
Er machte eine nachdenkliche Miene und ging voraus. Ich folgte ihm. Wir gingen an den Garagen vorbei, ließen die Verwaltungsbaracke hinter uns und befanden uns in der Nähe des Hangars. In den
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