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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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er war auf die Reichsmark aus. Aber was für Reichsmark denn bei Grenadieren?
    – Und wie ist die Geschichte ausgegangen?
    – Wie? – fragte Ernst zurück, nahm den Kanister und schenkte wieder ein. – Schlecht natürlich. Wir gruben sie nicht nur aus, wir betteten sie um. Es stellte sich heraus, dass sie noch im Krieg begraben wurden, allerdings ohne irgendeine Markierung. Ich wurde der Schändung von Kriegsgräbern beschuldigt. Und hab mich nur mit Müh und Not freigekauft. Aber die Marke, – er zeigte sie, – trage ich immer noch. Schura ist seitdem skeptisch.
     
    Ernst kippte die nächste Dosis Roten. Ich beeilte mich, mit ihm Schritt zu halten.
    – Alles klar. Und was nun? Du willst einen Panzer finden?
    Ernst musterte mich durchdringend und wachsam. Mir wurde unbehaglich.
    – Hermann, – fragte er. – Was würdest du machen, wenn du plötzlich viel Geld hättest? Eine Million, zum Beispiel, – fügte er großzügig hinzu.
    – Eine Million?
    – Mhm.
    – Reichsmark?
    – Dollar.
    – Ich würde mir ein Haus kaufen. In Afrika.
    – Wozu brauchst du ein Haus in Afrika?
    – Ich wollte schon immer in einem Land leben, wo es keinen Rassismus gibt.
    – Alles klar, – nickte Ernst. – Und weißt du, was ich machen würde?
    – Was?
    – Ich würde ein Flugzeug kaufen und den Flugverkehr wieder aufnehmen.
    – Wozu das denn? – fragte ich verständnislos.
    – Weil ich gut in einer Stadt leben kann, wo es Rassismus gibt. Aber in einer Stadt ohne Luftfahrt kann ich es nicht aushalten.
    – Ist das denn so wichtig?
    – Verstehst du, – Ernst musste den Kanister immer stärker kippen, um unsere Gläser zu füllen, – es geht eigentlich nicht um die Passagierflüge als solche. Ohne mich hätten sie den ganzen Kram hier, – er beschrieb mit dem Arm einen Bogen, – schon längst aufgekauft. Den Asphalt aufgerissen und überall Mais angebaut. Kapierst du, Hermann, überall dort, wo Infrastruktur stand, hätten sie Mais gesät.
    – Warum haben sie es noch nicht gemacht?
    – Weil das hier bis heute im Staatsbesitz ist. Aber glaub mir, sobald man mich entlässt, werden sie alles aufkaufen. Weil ihnen ja außer ihrem Mais alles schnuppe ist, kapiert? – Ernst wurde immer betrunkener, redete nicht mehr ganz klar, dafür umso eindringlicher. – Flugzeuge brauchen die auch nur, um ihren Mais zu pflegen. Sie lieben die Luftfahrt nicht, Hermann. Für mich aber sind die Flugzeuge mehr als ein bloßer Lebensunterhalt. Weißt du, ich habe schon als Kind vom Himmel geträumt, ich habe als Schüler Modelle der Flugzeuge in die Hefte gezeichnet, die irgendwo da oben rumschwirrten. Du erinnerst dich doch, Hermann, dass wir als Kinder alle Piloten werden wollten, fliegen wollten, den Himmel erreichen! Hey, wir wurden ja alle nach Kosmonauten benannt!
    – Vor allem du.
    – Lass gut sein, – winkte er ab. – Und was ist aus unseren Träumen geworden? Wer hat unsere Fahrkarten in den Himmel gestohlen? Warum hat man uns in diese Wüste getrieben, frage ich dich?! – Ernst machte eine nervöse Kopfbewegung und verstummte. Ich wusste nicht, was ich ihm antworten sollte, und schwieg ebenfalls. Schließlich redete er weiter. – Für mich ist es eine Frage des Prinzips. Ich will die Passagierflüge in dieser Stadt wieder aufnehmen, wo sich alle als Weicheier und Hosenschisser erwiesen und es zugelassen haben, von allen möglichen Arschlöchern fertig gemacht zu werden. Man könnte sagen, das ist meine Lebensaufgabe.
    – Okay, – ich wollte ihm irgendwie Mut machen. – Und wozu der Panzer?
    – Du bist Historiker, Hermann?
    – Bin ich.
    – Sag mal, wie viele Tiger hat das Dritte Reich insgesamt gebaut?
    – Welches Modell?
    – Egal.
    – Knapp anderthalbtausend.
    – Stimmt, – freute sich Ernst. – Eintausenddreihundertfünfundfünzig, um genau zu sein. Was denkst du, ist das viel?
    – Das ist wenig, – sagte ich nach kurzem Überlegen.
    – Sehr wenig, – stimmte Ernst mir zu. – Und weißt du, wie viele davon bis heute überdauert haben?
    – Einhundert oder so, – sagte ich auf gut Glück.
    – Sechs, Hermann, nur sechs Stück. Und was würde heute deiner Meinung nach ein Tiger kosten?
    – Eine Million?
    – Eine Million. Nicht weniger als eine Million.
    – Und du weißt, wo man ihn finden kann? – Ich versuchte, meine Zweifel nicht offen zu zeigen.
    – Weiß ich nicht, – antwortete Ernst. – Aber irgendwo muss er sein. Ich spüre ihn. Irgendwann werde ich ihn herausholen, und dann können sich

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