Die Erfindung des Jazz im Donbass
hochschießen wie das Erdgas aus den Tiefen der Schwarzerde. Solange es ging, achtete ich nicht darauf und hörte Nikolaitsch zu, aber ich fühlte mich immer schlechter.
– Was? – fragte Nikolaitsch noch gereizter zurück und versuchte seiner Stimme einen metallischen Klang zu verleihen.
– Einen Moment, – sagte ich, riss die Tür auf und beugte mich jäh hinaus.
Es kam mir sofort hoch. Ich atmete tief durch, beschloss dann aber, für alle Fälle zu warten.
Kolja fluchte unflätig. Nikolaitsch spähte angespannt in die Dämmerung hinein, aus der jeden Augenblick der Moskauer Schnellzug hervorschießen konnte, und versuchte sich an die Sätze zu erinnern, die er extra für dieses Gespräch vorbereitet hatte. Ich atmete erleichtert aus, ließ mich entkräftet auf den Ledersitz zurückfallen und schloss die Wagentür.
– Also, Hermann, – stimmte Nikolaitsch seine Leier wieder an, nur dass er jetzt etwas zu hastig sprach, – ich bin Geschäftsmann . . .
– Moment! – rief ich wieder, riss die Tür auf und lehne mich wieder hinaus.
– Fuck! – schrie Kolja verzweifelt, und Nikolaitsch erstarrte am ganzen Körper, rollte sich ein wie ein Igel und zog die Beine hoch.
Schwer atmend fiel ich wieder in den Sitz zurück und umnebelte Nikolaitsch mit dem Geruch des wilden Weins. Von links, aus dem blauen abendlichen Dunst, raste der Zug heran. Er war noch einige hundert Meter weg und leuchtete aus der Entfernung mit feierlichen Lichtern.
– Ihr könnt mich mal! – rief Kolja, ließ den Motor an und gab Gas. Der Jeep schoss los, umfuhr wie durch ein Wunder die Schranke und raste auf den Asphalt.
Nach einigen Metern bremste Kolja und drehte sich um.
– Nikolaitsch! – rief er. – Zum Teufel mit diesem Arschloch, verdammt! Zum Teufel mit ihm! Nikolaitsch!
– Ich steig schon selber aus, – sagte ich und kroch hinaus. Doch bevor ich ging, bückte ich mich noch einmal und sagte zu Nikolaitsch: – Ich denke, so wird das nichts. So macht man keine Geschäfte. Auf Wiedersehen.
Nachdem ich sie noch einmal mit Weingeist zugenebelt hatte, schlug ich die Tür zu.
7
Obwohl mein Anblick für sich sprach, obwohl der ganze Irrsinn des privaten Weinbaus sich in meinen Augen spiegelte, meinen Haaren und Kleidern wilder Weinodem entstieg, kommentierte Kotscha das mit keinem Wort. Ängstlich wie eine Katze in einer fremden Wohnung schlich er herum, erschnüffelte die neuen Gerüche, brühte am Morgen Tee auf, verscheuchte die Wespen, die über mir kreisten wie Möwen über einem Tankerwrack. Er redete ohne Pause, eher mit sich selbst, die Geschichte von seiner Frau ließ ihm keine Ruhe, und er ließ mich nicht in Ruhe und erzählte sie immer wieder.
– Die Weiber, – verkündete er, – Harry, die Weiber sind doch bloß Weiber.
– Was für Weiber denn, – wunderte ich mich und verscheuchte die Wespen aus meinen Haaren, – was haben die Weiber damit zu tun? – fragte ich, aber Kotscha zuckte nur resigniert die Achseln und trank seinen Tee, der dunkel war wie Öl.
– Ich seh doch, – fügte er hinzu, – was mit dir los ist, Harry, ich sehe alles, mein Freund, das sind alles sie, nur sie.
Ich schüttelte die aufdringlichen Wespen aus meinen Haaren und setzte sie auf meine Handfläche, von wo sie abhoben.
– Hast du sie gekannt? Meine Frau?
– Ja, – antwortete ich, – ich hab sie gekannt: so eine dunkle, fröhliche.
– Genau, – Kotscha lachte heiser, – das ist sie. Fünf Jahre jünger als ich. Aber ich hätte nie gedacht, dass sie jünger ist. Als wir uns kennenlernten, da konnte die Sachen –, keiner hätte gedacht, dass sie erst siebzehn ist.
– Wo hast du sie kennengelernt?
– Auf dem Sportplatz, – sagte Kotscha nach kurzem Nachdenken, – im Sommer, sie wollte auf die Krankenschwesternschule. Irgendwo in der Nähe der Schwesternschule ist sie mir zum ersten Mal begegnet. Bei den südländischen Frauen hat die Haut immer die gleiche Farbe, sie werden nicht braun von der Sonne, wusstest du das?
– Kommt sie denn aus dem Süden?
– Aus Georgien, – sagte Kotscha, – sie hatte damals schwarze Haare und lange Beine.
– Daran kann ich mich erinnern, – bestätigte ich.
– Als sie mit der Ausbildung angefangen hat, da trug sie immer einen schneeweißen Kittel. Törnen dich Ärztinnen an, Hermann?
– Ich hab Angst vor Ärzten.
– Und mich törnen sie an, – erklärte Kotscha, ich lag mal im Krankenhaus, mein Gott, machten die mich geil . . . Aber ich will dir von
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