Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
Vom Netzwerk:
der nach dem Regen getrocknet und dadurch hart geworden ist. Ich lag mit geschlossenen Augen im leeren Zimmer, spürte das sanfte Schwanken der Bäume im abendlichen Park, die fliederfarbene Finsternis, die an den nassen Blättern klebte, den goldenen Schimmer in den Scheiben des Feuerwehrturms und das verstreute scharfe Silber der Glassplitter in den Tellern mit Gemüse, aber das war nicht alles, es war etwas passiert, und irgendwie hatte dann alles aufgehört. Was war es gewesen? Das, was Kotscha gemeint hatte? Woran konnte er sich erinnern, woran sich alle anderen nicht mehr erinnerten? Was konnte sie gemacht haben? Dort, in diesem Restaurant, gab es noch einen Ausgang, eine Seitentür, man musste durch die Küche gehen und war direkt im Park, wo einen die Bäume nass und unheimlich umzingelten, man musste sich vorsehen, denn das Gras war mit Glasscherben übersät, man konnte sich leicht verletzten, aber niemand sah sich vor, das Blut pulsierte in der frischen Nachtluft in unsichtbaren Kanälen, es musste einfach vergossen werden. Die Frage war nur, wessen Blut. Schon zu Beginn des Gelages, ich weiß nicht mehr warum, ging ich durch eben diese Seitentür hinaus. Aber wozu? Ich sollte jemanden treffen. Nur wen? Es war stockdunkel, niemand merkte, dass ich hinausgeschlüpft war. Und da, mitten in der nassen Finsternis, war Tamara, ihre Haut schimmerte in der feuchten Luft, sie hatte nicht mal das Kleid ausgezogen. Aber was ging da ab! Es waren zwei, und Tamara befriedigte sie beide, dem einen kehrte sie ihr Gesicht, dem anderen ihren Rücken zu. Dabei streifte sie nicht mal ihr Kleid ab. Das erstaunte mich damals irgendwie, ich war überzeugt, dass ein Kleid in solchen Situationen nur stören konnte, aber offensichtlich war das hier nicht der Fall. Ich konnte nicht erkennen, wer das war, aber Kotscha ganz bestimmt nicht, Kotscha hätte es niemals so getrieben. Nach einiger Zeit löste sie sich von dem einen, hob den Kopf und bat um Feuer. Das Feuer leuchtete mir zu grell auf, ich öffnete unauffällig die Tür und verschwand. Auf dem Rückweg zum Saal begegnete ich Kotscha. Finster, wütend schaute er mich an, und mir dämmerte, dass er alles wusste. Und als plötzlich die elektrisch beleuchtete Finsternis explodierte, in hunderte silberne Splitter zerbarst, die Luft in den Raum strömte und sich mit dem Alkoholdunst vermischte, wusste ich, dass die Sache nicht einfach so zu Ende gehen würde. Diesmal nicht.
    – Was hab ich dir gesagt, –Kotscha stand vor mir, außer Atem, er war zum Bauwagen gerannt. – Beeil dich, jetzt ruft sie dich schon hier an.
    *
    – Hermann! – Ich stand da und drückte den von der Sonne erhitzten Hörer ans Ohr. – Wie geht es dir?
    – Gut, – antwortete ich mit fester Stimme. Es klang nicht sehr überzeugend. – Hab mich gestern mit der Konkurrenz getroffen. Wir haben uns unterhalten.
    – Ja-ja, – bestätigte Olga. – Ich weiß nicht, worüber ihr euch unterhalten habt, Hermann, aber die wollen dir dein Geschäft wegnehmen.
    – Bin gleich da. – Ich legte mir die Kopfhörer um den Hals und lief Richtung Landstraße.
    *
    Vor dem Büro stand der bekannte Jeep, am Steuer saß Kolja und starrte mich an, als hätten wir uns seit gestern nicht getrennt. Ich winkte ihm zu und trat ein. Olga saß am Tisch, ohne die gelbe Sonnenbrille abzunehmen, sie trug ein T-Shirt mit politischen Parolen in polnischer Sprache. Darunter sah man ihren orangefarbenen BH . Ihr gegenüber saßen zwei aufgedunsene Tussen in scharfen engen Kleidern und wuchtigen Dauerwellen. Sie waren schon etwas älter, hatten aber sozusagen ihren jugendlichen Elan noch nicht verloren, diese Schrapnellen wussten, dass nur die Freude der kollektiven Arbeit für Vitalität und das Gefühl von Zugehörigkeit sorgt. Sie atmeten schwer in der Hitze und fächelten sich mit ihren Kontorbüchern verbissen Luft zu, wie Spanierinnen. Die eine hatte eine zigarettenaschgraue Dauerwelle und dicke Bronzeohrringe, die wie Medaillen auf einer Generalsuniform an ihren Ohren prangten. Um den Hals trug sie eine massive Korallenkette. Ihren aufgedunsenen schwitzenden Körper hatte sie in ein vorsintflutliches Kleid von dunkler Farbe gezwängt, das sich in alle Richtungen wölbte und jede Kontur nachzeichnete. Ihre Beine waren kräftig und verbraucht, die Füße steckten in Hausschuhen. In einer Hand hielt sie das Kontorbuch, in der anderen einen Kopierstift, den sie ab und zu in ihre Dauerwelle steckte, um dort konzentriert nach etwas zu

Weitere Kostenlose Bücher