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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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suchen. Ihre Freundin, genauso matt von der Hitze, trug einen sorgfältig geschlungenen Knoten von industriekupferner Farbe, der im Sonnenlicht rötlich schimmerte. In ihren Ohren dunkelten große smaragdgrüne Steine, wie man sie für Mosaiken an Busbahnhöfen verwendet. Sie trug keine Kette, aber ihr Hals legte sich in mehrere üppige Falten, in denen bernsteinerne Tropfen bitteren weiblichen Schweißes saßen. Sie trug ein buntes Kittelkleid nach sowjetischer Art, mit tropischen Blumen und Gräsern, die über der Leber besonders üppig sprossen. Auch sie hatte Hausschuhe an. Sie sah vitaler und pedantischer aus, ruckte die ganze Zeit nervös mit ihren spitzen Schultern, so dass sich ihr Kittelkleid an einigen Stellen spannte und an anderen in sich zusammensank wie ein Segel bei wechselhaftem Wind. Die Tussen fixierten mich synchron und feindselig. Ich grüßte und sah Olga fragend an. Vielleicht möchten Sie sich bekannt machen, sagte Olga, und unwillig nannten die Frauen ihren Namen. Die Zigarettenaschgraue hieß Angela Petrowna, ihre Stimme war schwer und schleppend und ihr Blick schlammig und stur. Die Industriekupferfarbene sprach hektisch und haspelig, als hätte sie den Rachen voller Flusskiesel, sie stellte sich als Bhalinda Bhedorobna vor, was wohl Halyna Fedoriwna bedeuten sollte, für mich nannte ich sie Brünhilde Petrowna, denn mein Unterbewusstsein weigerte sich, einen anderen Namen zu akzeptieren. Vielleicht, weil sie einander ähnelten wie zwei Halbschwestern von verschiedenen Müttern, beides Frauen mit Erfahrung, einer Erfahrung, die sie, wie es aussah, mit niemandem teilen wollten.
    – Schön, – Olga mimte Freude über mein Erscheinen. – Wir warten schon ziemlich lange.
    – Ich musste trampen, – erklärte ich den Anwesenden.
    Die Tussen fixierten mich ungerührt. Angela Petrowna drehte blutrünstig den Kopierstift in den Händen, Brünhilde Petrowna blähte die Falten an ihrem Hals wie eine Kobra.
    Olga schilderte mir kurz das Problem. Das Problem, soweit ich kapierte, bestand darin, dass Angela Petrowna und Brünhilde Petrowna nicht rechtzeitig in Pension gegangen waren. Wie zwei Klageweiber, zwei Todesbotinnen, überbrachten sie schlechte Nachrichten und kündeten von steigenden Kreditzinsen und der Erhöhung aller möglichen Steuern und Abgaben. Ich versuchte, zum Kern des Problems vorzudringen. Aber es fiel mir schwer, Angela Petrowna und Brünhilde Petrowna hatten eine niederschmetternde Wirkung auf mich und trieben meine Seele in Wehmut und Depression. Aus ihren Ausführungen begriff ich, dass sie vom Finanzamt kamen, von der Rentenversicherung, vom Gesundheitsamt, dem Veteranenverband sowie von der unabhängigen Kleinunternehmergewerkschaft und schließlich auch noch von der Wohnungsbaugesellschaft, und überall gab es angeblich Probleme, mein glückloses Privatunternehmen sei gegenüber diesem Land schon längst hoffnungslos verschuldet, und es wäre wohl am besten, ich würde mich aufhängen, nachdem ich das Geschäft liquidiert und meinen geringen Besitz zuvor den kämpferischen Rentnern überwiesen hätte. Es redete vor allem Angela Petrowna, sie textete mich mit verquasten Finanzvokabeln zu, Brünhilde Petrowna rollte die farbigen Steine ihrer Aussprache unter dem Gaumen und stieß ab und zu ein unheilschwangeres Wort aus, »Brentner«, »Bhesundheitsamt« oder das rätselhafte »bferritoriale Selbstverbfackung«, so dass ich nicht verstand, worauf sie hinauswollte.
    Olga versuchte lange, ihnen alles zu erklären, kramte Papiere aus der Tischschublade, so schlecht sehe es gar nicht aus, erklärte sie, unsere Dokumente seien in Ordnung, und es gebe bislang keinerlei gesetzliche Grundlage für ein vorzeitiges Ableben meinerseits. Angela Petrowna und Brünhilde Petrowna wedelten ihre Worte nur lässig mit den Kontorbüchern weg, sie wiesen auf Gesetzesänderungen hin, verlasen Auszüge aus Dekreten und monierten die Widersprüche in den Steuererklärungen. Olgas sämtliche Versuche, dem Ansturm der zwei heißblütigen, von der Hitze berauschten Spanierinnen standzuhalten, schlugen fehl – die Alten geilten sich an ihrem Lamento immer weiter auf und bewiesen erstaunliche Kenntnisse des Strafgesetzbuches und in ordentlicher Buchführung. Irgendwann verstummte Olga. Die Spanierinnen hielten ebenfalls inne und warfen ihr hitzige, durchdringende Blicke zu. Offenbar warteten alle auf meine Reaktion.
    – Hören Sie, – begann ich mit maximaler Friedfertigkeit, was meiner Stimme einen

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