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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Alten zu, der auf einem Bett am Fenster lag, lief zu ihm und gab ihm einen dicken Schmatz auf die blanke Glatze.
    – Grüsch dich, Oljunia, grüsch dich, mein Töchterchen, – Hnat Jurowytsch spitzte seine speichelfeuchten Lippen, um ihre Wange zu erreichen. Plötzlich warf er mir einen argwöhnischen Blick zu: – Was ist das denn für ein Schlappschwanz an deiner Seite?
    – Das ist Hermann, – antwortete Olga, – er ist Geschäftsmann.
    – Guten Tag, – grüßte ich, ohne mich von der Tür wegzubewegen.
    – Geschäftsmann? – fragte Hnat Jurowytsch misstrauisch zurück. – Zum Teufel mit ihm, diesem Geschäftsmann! Erzähl mir, wie’s dir geht, – wandte er sich Olga zu.
    Olga fing an zu erzählen, von gemeinsamen Bekannten, der Lage auf den Märkten und irgendwelchen Börsengeschäften, ich besah mir währenddessen den Alten etwas näher. Hnat Jurowytsch machte einen munteren Eindruck, ein beweglicher Typ, der mit leninhaftem Schelmenblick in die Gegend schaute – Hakennase, große Glatze, an der Seite graue, abgeschlaffte Locken, im Gesicht sprossen ihm bedrohliche Augenbrauen. Er trug einen braunen offiziellen Anzug, am Revers seines Sakkos staken Abzeichen eines Aktivisten und Teilnehmers von Gewerkschaftskonferenzen. In diesem Anzug, unter dem ein schneeweißes, gestärktes Hemd zu sehen war, lag Hnat Jurowytsch auf dem gemachten Bett. An den Füßen hatte er Strandlatschen aus Plastik, die einen gewissen Kontrast zu den Aktivistenabzeichen bildeten. Mit den Abzeichen und im braunen Anzug ähnelte er dem Schriftsteller William S. Burroughs, als der gerade in den Schriftstellerverband aufgenommen worden war. Neben dem Direktor saß auf einem blauen, grob gestrichenen Hocker eine große Krankenschwester mit viel Holz vor der Hütte, die Hnat Jurowytsch Natascha nannte und vor aller Augen neckte, ohne sich dafür zu schämen. Natascha hielt sich strikt an die Parteihierarchie, reichte Hnat Jurowytsch geduldig seinen Rum im Blechbecher, stopfte seine silberne Wasserpfeife mit Tabak, verscheuchte Schmetterlinge von seinem kahlen Schädel, rieb seine senilen Beine mit französischem Parfum ein und nahm ihm die Pornohefte aus den Händen. All das ohne ein Wort, ohne auch nur in unsere Richtung zu schauen. Im Zimmer gab es noch zwei Passagiere. Der eine lag Hnat Jurowytsch gegenüber, war dick und schnappte die ganze Zeit nach Luft. Glotzäugig schaute er seinen honorigen Nachbarn fasziniert an, als geile er sich an seinen ungestraften Frechheiten auf. Er war schlicht gekleidet – gestreifter Krankenhauspyjama und warme lange Socken. In der Hand hielt er eine Zeitung, hinter der er ab und zu ängstlich, aber interessiert Natascha musterte. Der dritte Bewohner lag näher an der Tür und gab keinerlei Lebenszeichen von sich, offenbar war er schon tot. Dem Geruch nach konnte man sogar davon ausgehen, dass der Tod vor etwa drei Tagen eingetreten war.
    Auf dem Korridor waren unterdessen schleichende Schritte und verdächtiges Raunen zu vernehmen, jemand blieb an der Tür stehen und rührte sich nicht mehr, während er versuchte, unser Gespräch zu erlauschen. Überhaupt fühlte ich mich von Anfang an, kaum hatte ich die Mauern dieses Sanatoriums betreten, stark beunruhigt und wollte aus diesem Krematorium so schnell wie möglich ausbrechen.
    Olga versuchte immer wieder, das Gespräch auf unsere Probleme zu lenken. Sie beschwerte sich beim Alten über die Attacken der Maiskönige, erzählte von den Spanierinnen und der Korruption auf den Etagen der Macht. Aber Hnat Jurowytsch lenkte jedes Mal vom Thema ab, er tat einfach so, als habe er das Gesagte nicht richtig gehört oder verstanden, trank seinen Schmuggelrum, kniff Natascha und warf irgendwelche Rädchen ein, von denen seine Augen fröhlich und rosafarben wurden, wie die eines Hundes auf einem schlechten Foto.
    Schließlich hielt es Olga nicht mehr aus. – Hnat Jurowytsch, – sagte sie, – ich bitte Sie. Tun Sie es für mich.
    – Für dich? – Der Alte schaute sie verwundert an. – Aber es geht doch nicht um dich, sondern um ihn hier, – er zeigte auf mich. – Um den Geschäftsmann.
    – Ja, Hnat Jurowytsch, – beeilte ich mich etwas zu sagen. – Auch ich bitte Sie.
    – Wieso, verdammt? – Der Alte wollte mich offenbar provozieren. – Worum bittest du mich, Jüngelchen?
    – Hnat Jurowytsch, – ich trat näher. – Sie kennen doch meinen Bruder.
    – Na und? – Der Alte blieb ungerüht. Olga presste verzweifelt die Lippen aufeinander.

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