Die Erfindung des Lebens: Roman
suchte ich nach einem Bekannten, mit dem ich zum Essen verabredet war. Das Schauen, die Blicke – manchmal hatte das sogar eine Weile gereicht, den Hunger zu stillen, ja, ich trieb das Ganze noch auf die Spitze, indem ich mir die Namen bestimmter Gerichte und die Angebote ausgesuchter Restaurants sorgfältig notierte.
So verfügte ich über kleine Kladden mit ausführlichen Listen römischer Speisen, ich wusste recht genau über ihre möglichen Kombinationen und die Eigenheiten der römischen Küche Bescheid, obwohl ich die wenigsten dieser Speisen gekostet, sondern meist von einer Küche der armen Leute gelebt hatte.
Diese Küche gab es auf den großen Märkten nach dem Ende der Marktzeiten, es war eine Küche von Resten, die dann fast umsonst zu bekommen waren. Brot, Fisch, Käse, Gemüse, Obst – all das wurde am späten Mittag an die herumstreunenden Hungerleider verschenkt, man packte alles in eine Busta und verschwand so schnell es ging, man beschaffte sich etwas Wein und natürlich das überall fließende kalte Wasser und zog an den Tiber oder in einen Park, dort lag man dann Stunden im milden Schatten, genoss die aufgetriebenen Speisen, trank mäßig und vertiefte sich in ein Buch oder einfach nur in das statische Blau des römischen Himmels …
Ich bewegte mich immer weiter durch die Genusszonen, das ganze mittägliche Leben bestand jetzt nur noch daraus, sich lange und besonnen den Speisen zu widmen, schon früher hatte ich meine Freude daran gehabt, zu beobachten, wie begeistert die Römer aßen, wie andächtig, wie passioniert und wie viel Zeit sie sich für diese mittäglichen Rituale doch nahmen!
Ab und zu kam ich auch an einer Tavola calda vorbei, damals, in meinen Jugendjahren, hatte das Geschäft mit diesen kleinen Imbissen und Garküchen wieder vermehrt begonnen, jetzt aber gab es fast überall diese Lokale mit langen Vitrinen, die Gerichte aller Art zur Schau stellten.
Als ich an einer der ältesten am Largo Argentina vorbeikam, blieb ich einen Moment stehen und ging dann hinein. Richtig, hier hatte ich mich früher oft mit nur wenigen Lire herumgetrieben, es gab zunächst Pasta in allen nur erdenklichen Variationen, dann gebratenes Fleisch, Fisch und Gemüse aller Art. Mit einem Tablett in der Hand war ich an all diesen Köstlichkeiten entlanggelaufen, ich hatte grübelnd vor einem Lasagne-Auflauf gestanden und die guten, mit Pilzen übersäten dünnen Kalbsmedaillons angestarrt, bis ich mich den Beilagen gewidmet hatte.
Die kleineren Beilagen gab es für die richtigen Esser umsonst, wenn man es geschickt anstellte, trat man als ein solcher Esser auf und holte sich Beilagen nach, meist handelte es sich um mit Käse gefüllte Reisklöße, um lang eingekochte und mit etwas Käse überbackene Auberginen oder um sehr dünne, mit ein wenig Käsecreme gefüllte Kroketten.
Ich nahm mir einen kleinen Teller und belegte ihn mit jeweils einer dieser Köstlichkeiten, daneben gruppierte ich ein frisch gebackenes Brötchen und eine winzige Portion in Öl eingelegtes Gemüse. Als ich bezahlen wollte, schaute mich die Frau an der Kasse zweifelnd an: Das ist alles? Wollen Sie nichts Richtiges essen? Ich lachte, nein, ich wollte nichts Richtiges essen, denn ich befand mich in einer Nostalgie-Falle, bei der es nicht wirklich um das Essen, sondern um die Erinnerung ging.
Die Frau winkte mich durch und nahm kein Geld, genauso war es früher in glücklichen Momenten gewesen, ich lachte noch einmal und begann, vor mich hin zu pfeifen, ich kam mir beinahe so vor, als wäre ich wieder der arme Student von früher, der gerade einen Höhepunkt seines Hungertages erlebte und sich vor lauter Freude kaum beherrschen konnte.
Ich setzte mich an eines der großen Fenster, durch die man den Verkehr auf dem Largo beobachten konnte, ganz in der Nähe hatte der junge Thomas Mann mit der Niederschrift seiner Buddenbrooks begonnen, ich wusste das seit ewigen Zeiten, aber ich hatte mir nie vorstellen können, wie man angesichts der römischen Verhältnisse rings um diesen Largo ausgerechnet mit so etwas wie einer hanseatischen Kaufmannsgeschichte hatte beginnen können.
Ich kostete von den Reisklößen, unglaublich, sie schmeckten genau wie früher, bis in die letzte Nuance! Und die Auberginen? Ebenfalls unverändert! Und die kleinen Kroketten? Vielleicht eine Spur leichter und mit weniger Öl zubereitet! Ich lachte zum dritten Mal laut, man hätte mich für einen jener Menschen halten könnten, die sich
Weitere Kostenlose Bücher