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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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gerade in solchen Garküchen häufig sehen ließen, sie sprachen gern mit sich selbst und waren immer allein, sie erzählten Geschichten, die niemand hören wollte, und hockten dann Stunden an einem der Tische, bis man sie vertrieb.
    Ich lachte noch immer, da bemerkte ich Antonia, die mich von draußen, von jenseits der Scheibe, anblickte. Sie schaute irritiert, ja, sie traute ihren Augen nicht recht, dann schüttelte sie den Kopf und kam herein. Hey, was machst Du denn hier? , fragte sie. – Ich spiele 70er-Jahre-Boheme, sagte ich, ich bin Mitglied einer Boheme-Gruppe, studiere am Conservatorio und muss mit fünfhundert Lire am Tag auskommen. – Hattest Du früher wirklich so wenig Geld? – Am Ende der Monate habe ich nur noch von Wasser und Brötchen gelebt.
    Sie nahm sich ebenfalls ein Tablett und holte sich etwas zu essen, und ich erklärte ihr, dass es nach Mariettas Konzert ebenfalls ein kleines Büfett mit lauter typischen Garküchen-Gerichten geben solle. Glaubst Du denn, dass überhaupt ein paar Leute erscheinen? – Ich habe zweitausend Handzettel mit dem Programm drucken lassen, antwortete ich. – Und wer soll all diese Handzettel verteilen? – Na wer schon? Ich selbst werde sie verteilen, ich werde sie in der gesamten Umgebung des Testaccio-Marktes verteilen und in vielen Geschäften aushängen lassen.
    Antonia stockte einen Moment und schaute mich an: Sag mal, Giovanni, warum gibst Du Dir mit diesem Konzert so viel Mühe? Ist das wirklich notwendig? Kostet es Dich nicht zu viel Zeit? – Nein, Antonia, es kostet mich nicht zu viel Zeit. Es ist Mariettas Konzert, aber ein klein wenig ist es auch mein Konzert, denn ich habe sie eine Weile unterrichtet. Als Lehrer bin ich stolz auf meine Schülerin, als Lehrer tue ich alles, um meiner Schülerin einen großen Auftritt zu verschaffen.
     
    Antonia blickte mich etwas skeptisch an und antwortete nicht. Wir sprachen noch eine Weile über einige andere Themen, dann fragte sie mich, ob ich mit ihr nach Hause fahren wolle. Noch nicht, antwortete ich, ich komme später nach.
    Sie verabschiedete sich mit einem Kuss und verließ das Lokal, während ich auf meinen Teller blickte. Vor lauter Begeisterung für meine Vorhaben hatte ich kaum etwas gegessen, deshalb waren all die köstlichen Kleinigkeiten nun erkaltet und lagen da wie ein Stillleben. Stillleben einer Boheme-Mahlzeit, Rom 1972 , flüsterte ich leise und lachte erneut.
    Dann aber ließ ich mir einen Plastik-Teller geben, legte die Köstlichkeiten darauf, kaufte noch eine kleine Flasche Weißwein aus den Castelli Romani und machte mich auf den Weg hinüber zur Tiberinsel, um meine frugale Mahlzeit dort in Ruhe zu genießen.

43
     
    NACH MEINER Trennung von Clara und dem Ende meiner Pianisten-Laufbahn packte ich dann irgendwann meinen Seesack und nahm von Signora Francesca und den Bewohnern des Hauses in der Via Bergamo 43 Abschied. Mehr als zwei Jahre hatte ich in diesem Haus gelebt und dort die glücklichsten, aber auch die traurigsten Zeiten meines Lebens verbracht.
    Da ich glaubte, ich würde nie mehr nach Rom zurückkehren, fiel mir der Abschied von der Ewigen Stadt sehr schwer. Ich zögerte ihn denn auch mehrmals hinaus, indem ich die anvisierten Abreisetage verstreichen ließ und mich gar nicht erst um eine Zugfahrkarte bemühte. Signora Francesca drängte mich, noch länger zu bleiben, sie wollte für mein Zimmer nicht einmal Geld haben, ich aber wusste, dass meine Rom-Tage zu Ende waren, ja, ich spürte, dass ich trotz meiner starken Liebe zu Rom nichts mehr in dieser herrschaftlichen Stadt zu suchen hatte.
     
    Eine weitere Hürde für meinen Abschied aber bestand darin, dass ich meinen Eltern nichts von meinen Niederlagen geschrieben hatte. Die Trennung von Clara brauchte ich ihnen gegenüber nicht zu erwähnen, denn von dieser Liebe wussten sie ja nichts, von meinem pianistischen Studium dagegen hatte ich immer detailliert berichtet und davon bisher ausschließlich Gutes erzählt.
    Beide mussten also vermuten, dass ich in weniger als einem Jahr das Konzertexamen machen werde. Wir hatten den ungefähren Termin dieses Examens in unseren Briefen bereits mehrfach erwähnt und sogar vereinbart, dass die Eltern dann nach Rom kommen würden. Bis zu diesem Zeitpunkt wollten wir alle direkten Kontakte vermeiden, auch darüber waren wir einig gewesen.
     
    Ich wusste, wie schwer meinen Eltern diese Vereinbarung gefallen war, wir hatten sie jedoch für notwendig gehalten. Unser Zusammensein vollzog sich

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