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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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nach so alten Ritualen, dass wir gar nicht absehen konnten, wie wir auf etwaige Treffen reagiert hätten. Deshalb hatten wir es für das Beste gehalten, uns für die Dauer meines Studiums nicht zu sehen, in der römischen Ferne sollte ich mein eigenes Leben führen, ohne es mit früheren Geschichten zu tun zu bekommen.
     
    All diese gut gemeinten Pläne und Vorsätze hatten sich nach meinem endgültigen Scheitern jedoch erledigt. Mir blieb nichts anderes als zu meinen Eltern in die Heimat zurückzukehren, andere Pläne hatte ich nicht, ja es war mir sogar ganz unmöglich, über andere Pläne überhaupt nur nachzudenken.
    Wie aber sollte ich plötzlich wieder zu Hause auftauchen, um dort offen davon zu sprechen, dass die Jahre in Rom zu nichts geführt hatten? Ich wusste nicht, wie das gehen sollte, ja, ich zuckte allein schon bei der Vorstellung zusammen, mich einsam und allein dem Haus auf der Höhe zu nähern und in all meiner Hilflosigkeit und Armut vor meine Eltern zu treten.
     
    Immer wieder überlegte ich Ausflüchte: Sollte ich mit Walter Fornemann telefonieren und ihn einweihen? Sollte ich meinen Onkel in Essen bitten, die Eltern auf die schlimmen Nachrichten vorzubereiten? Nein, das alles sollte ich keineswegs tun, ich wollte vielmehr den Mut aufbringen, die Rom-Geschichte den Eltern selbst zu erzählen! Brachte ich das aber wirklich fertig? Und wie konnte ich vermeiden, dass meine Erzählung für meine Mutter oder für mich in einer psychischen Katastrophe endete?
     
    Ich erinnere mich gut, wie ich am späten Nachmittag meiner Rückreise mit dem Zug in Köln ankomme. Die Versuchung ist groß, den Bahnhof zu verlassen und sich in der Stadt herumzutreiben, ich widerstehe ihr aber und nehme den nächsten Zug auf das Land. Ich bin von der langen Reise müde und erschöpft, werde jedoch während des letzten Teilstücks plötzlich hellwach. Ich spüre ein Frösteln und eine irritierende Kälte, obwohl es im Zug und draußen im Freien warm, ja, beinahe schwül ist.
    Jedes Mal, wenn der Zug hält, verstärkt sich mein Unwohlsein, ich spüre genau, wie ich Station für Station einem fernen Fluchtpunkt näherkomme, auf den mein Leben jetzt zuläuft. Meine Eltern wissen nichts von meinem Kommen, ahnungslos sitzen sie in unserem noch immer einsam gelegenen Haus auf der Höhe und gehen ihren Beschäftigungen nach. Ich werde mich bemerkbar machen müssen, denn ich habe keinen Schlüssel. Soll ich mich an einem Fenster zeigen, soll ich klopfen, soll ich die Klingel drücken?
     
    Ich habe viel längere Haare als vor meiner Abfahrt nach Rom, und ich habe eine viel dunklere Haut, ich weiß gar nicht, ob meine Eltern mich auf den ersten Blick erkennen. Meine rechte Hand ist bandagiert, und meine Kleidung sieht nach der langen Zugfahrt nicht gut aus. Ich bin sehr nervös, meine Fingerkuppen sind feucht, während der Zugfahrt bin ich immer wieder für eine halbe Stunde eingeschlafen und habe von Rom geträumt.
    Ich habe kleine Feuer gesehen und den Klang einer Orgel gehört, und ich habe Signora Francesca zugehört, wie sie mir Ratschläge für den Umgang mit meinen Eltern gab und mich zu trösten versuchte.
    Schlimm ist, dass ich nicht weiß, wo Clara sich aufhält. Ich habe keine Ahnung, nein, nach unserer Trennung ist sie umgezogen und hat nichts hinterlassen. Ich hätte ihr so gerne zum Abschied geschrieben, ich hätte ihr am liebsten einen langen Brief geschrieben. Natürlich hätte ich nicht erwartet, sie zu einer Antwort oder einer letzten Begegnung bewegen zu können, es hätte mir auch schon gutgetan, ihr überhaupt eine Nachricht und ein paar Gedanken zu unserer Liebe hinterlassen zu können. Es ist verrückt, aber ich glaube nicht mehr daran, noch einmal nach Rom zu kommen, und genauso wenig glaube ich, mich noch einmal zu verlieben.
     
    Als der Zug zum letzten Mal hält und ich aussteige, begegne ich schon auf dem Bahnhof einer Gruppe von früheren Bekannten meiner Eltern. Sie schauen mich an und erkennen mich nicht, ich mache einen Test und frage sie etwas auf Italienisch, sie schütteln die Köpfe, nein, sie verstehen mich nicht und ahnen anscheinend wirklich nicht, wer sie gerade etwas fragt.
    Ich gehe hinüber zu dem kleinen Taxistand direkt vor dem Bahnhof, auch den Fahrer kenne ich von früher, ich stelle mich neben das Taxi, der Fahrer kurbelt die Scheibe herunter. Ich mache noch einmal den Test und frage auf Italienisch, wie weit es bis zu meinem Elternhaus sei. Nix capito , antwortet der Fahrer und

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