Die Erfindung des Lebens: Roman
oder Saure Nierchen oder Kassler mit Sauerkraut. Mit jedem Bissen nistete sich die Müdigkeit ein wenig mehr in uns ein, doch wir taten, als wären wir hellwach und munter.
Vater erzählte, was er während der Woche bei seinen Fahrten in die nähere Umgebung alles erlebt hatte, und seine beiden stummen Begleiter aßen dazu mit langsamen Bewegungen, in der Vorfreude darauf, dass alles am Nachmittag weiter und weiterging, das Spazierengehen, das Rollerfahren, das gefahrlose und unbefragte Dasein, in Begleitung eines starken Beschützers …
Auch gestern war ich seit den frühen Morgenstunden zu Fuß in Rom unterwegs. Immer wieder kam ich an einer Kirche vorbei und zögerte manchmal kurz, ob ich nicht hineingehen sollte. In Rom kenne ich viele Kirchen, und in den meisten, die ich kenne, habe ich auch schon an einem Gottesdienst teilgenommen.
Es war aber schon Mittag und mein Hunger so groß, dass ich mich auf einem kleinen, ruhigen Platz ins Freie an einen Tisch setzte und allein zu Mittag aß. Allein zu essen, macht mir nichts aus, ja es gibt sogar Tage, an denen ich unbedingt nur allein essen möchte. Zwei, drei Stunden an einem schön gedeckten Tisch, zwei oder drei Zeitungen, vielleicht noch ein Buch – ich genieße das Essen in Verbindung mit guten Lektüren, ich notiere mir etwas, ich komme in Fahrt.
Seit meiner Ankunft in Rom vor einigen Wochen habe ich immer nur allein gegessen, natürlich geht das so nicht weiter, irgendwann werde ich es nicht mehr aushalten ohne eine Gesellschaft bei Tisch. Aber ich zögere dieses Zusammensein hinaus, denn ich habe auf solche Gespräche noch keine Lust. Mir fehlen die richtigen Menschen, mir fehlen die Freunde und am meisten fehlt mir eine Frau, mit der ich gern essen gehen würde. Mit einer Frau essen zu gehen, das ist am besten, das Dumme ist nur, dass ich hier in Rom keine Frau kenne, die ich gern zum Essen einladen würde.
Was soll ich tun? Wo könnte ich einer Frau begegnen, mit der es ein Vergnügen bereiten könnte, gemeinsam essen zu gehen? Als ich jung war, war so etwas ganz einfach, ich ging zu Konzerten oder zu Vernissagen von Kunstgalerien, bei solchen Gelegenheiten kam ich oft mit jemandem ins Gespräch. Jetzt aber, wo ich älter bin, fällt es mir viel schwerer, Kontakte zu knüpfen. Ich nehme es mir vor, aber wenn es darauf ankommt, gebe ich rasch auf, obwohl ich keineswegs wählerisch bin. Mir fehlt der richtige Schwung, ich grüble zu viel. Doch ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, ich arbeite daran …
Gestern Abend bin ich dann doch noch in einen Gottesdienst gegangen. Ich kam an Sant’ Andrea della Valle, einer der größten Kirchen Roms, vorbei. Von der anderen Straßenseite her strömten die Gläubigen zur Abendmesse, so dass die Kirchentüren offen standen und Orgelmusik nach draußen drang. Ich blieb einen Moment stehen und atmete tief ein, rings um mich herum rauschte der Verkehr, es war ein mildwarmer Abend, die Sonnenstrahlen versanken gerade in den Häuserschluchten. Ich sehnte mich nach dem Duft des Weihrauchs und der Kühle des Weihwassers im Weihwasserbecken rechts am ersten Pfeiler, gleich nach dem Kircheneingang.
Ich komme, flüsterte ich leise, dann überquerte auch ich die Straße und folgte der Musik ins Innere der Kirche.
6
ICH HABE davon erzählt, was mich als Kind am Glauben so begeisterte: Mit allen Sinnen ein großes Haus zu bewohnen, in dem viele Menschen zusammenkamen und das Lob des Höchsten sangen. Eine solche Zusammenkunft war für mich damals etwas ganz Außergewöhnliches, denn sie war etwas Festliches und Feierliches, wie ich es sonst nicht kannte. So hatte ich Anteil an einem anderen Leben und an einem damals für mich natürlich noch nicht durchschaubaren Glauben, den man »katholisch« nannte.
Dass es noch andere Kirchen und Glaubensformen gab, ahnte ich damals nicht, vielmehr nahm ich ganz selbstverständlich an, die ganze Welt sei katholisch. Immerhin wusste ich aber, dass diese katholische Welt vom Papst in Rom beherrscht und regiert wurde, schon die bloße Erwähnung dieser mysteriösen und fernen Gestalt löste in mir so etwas wie Ehrfurcht und Bewunderung aus. Wenn ich mir überhaupt ein Ziel in der Ferne erträumte, dann war es Rom, dort, dachte ich allen Ernstes, würde ich in der großen Peterskirche dem Papst begegnen, er würde mir die Hand auflegen und mich segnen, und ich würde nach Köln zurückkehren als einer, dem man anmerkte und ansah, dass er dem Papst begegnet
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