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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Spaziergängen und Musik sehnte.
    Diese Sehnsucht war also der geheime Grund meines Heimwehs und meiner Wehmut, das begriff ich, als ich am Meer von Ostia in einem Restaurant saß und kleine, geschmorte Tintenfische bestellte. Warum koche ich nicht selbst einmal an dem neuen Herd in meiner Wohnung und lade ein paar Bekannte oder Nachbarn zum Essen ein?, dachte ich auf einmal und bestellte ein besonders gutes Glas Wein, wobei ich den Kellner bat, sich selbst ebenfalls ein Glas davon einzuschenken.
     
    Mit einem Menschen anstoßen! Ein paar Worte mit ihm wechseln! Ihn fragen, ob er etwa hier am Meer aufgewachsen sei, nahe diesem Blau, das einem das Herz so angenehm weite! Ja, er war hier aufgewachsen, ja, er hatte seine Kindheit am Meer verbracht! Ich lud ihn ein, sich neben mich zu setzen, das Restaurant war zum Glück beinahe leer, so dass es an diesem gewöhnlichen Wochentag nichts zu tun gab.
     
    Am Nachmittag fuhr ich dann zurück und kaufte auf dem Markt von Testaccio noch etwas ein. Ich schleppte alles hinauf in meine Wohnung und füllte den Eisschrank. Ich wollte nicht mehr so weiterleben wie bisher, ich wollte zurück zu dem geselligen und freundschaftlichen Leben, das ich in Rom schon einmal als Jugendlicher geführt hatte.
    Die Grundlagen für ein solches Leben hatte ich, so seltsam mir das auch heute vorkam, in den ersten Tagen mit Vater auf dem Land gelegt. Diese Tage hatten mich aus meiner jahrelangen Einsamkeit und Isolation herausgerissen und mich zu einem Menschen gemacht, der mit anderen zusammenarbeitete und sein Klavierspiel nicht nur, um sich selber daran zu erfreuen, sondern auch als Unterhaltung für die anderen betrieb.
    So gesehen, hatte das Leben auf einem abgelegenen Westerwälder Hof mein späteres römisches Leben als junger Mann vorbereitet. Doch ich hole zu weit aus, ich muss zurück zu den frühen Tagen, als ich das alles natürlich noch längst nicht ahnte …

16
     
    DER ERSTE Schritt, den Vater instinktiv an den Anfang meines Lernprogramms gestellt hatte, bestand darin, mich von der Mutter und dem einsamen Leben mit ihr zu trennen und in eine Gemeinschaft zu versetzen, in der ich kleine Aufgaben hatte. Das Leben in dieser Gemeinschaft unterlag bestimmten Regeln und vor allem Rhythmen, die den Tag gliederten und mich aus der passiven Lethargie meiner Kölner Tage herausrissen. So wurden die Mahlzeiten immer zu denselben Zeiten eingenommen und großer Wert darauf gelegt, dass alle auf dem Hof an diesen Mahlzeiten teilnahmen, und so wurden beinahe täglich die kleinen Pflichten und Aufgaben abgesprochen und genau vereinbart, wer nun wem bei diesen Aufgaben half und wann sie zu erledigen waren.
     
    Die Leitung all dieser Tätigkeiten hatte dabei der älteste Bruder meines Vaters, der in den frühsten Morgenstunden als Erster in der Wirtschaft war und alle Planungen im Auge hatte. Er sagte, was als Nächstes zu tun war und er machte das so geschickt, dass niemand das Gefühl hatte, unter einem strengen Regiment zu leben oder harten Befehlen Folge leisten zu müssen. Die meisten Anweisungen wurden vielmehr zunächst in die Form einer Frage gekleidet: Könntest Du nicht … Wäre es nicht gut? Was darauf folgte, waren kurze Absprachen darüber, wie man an eine Sache herangehen sollte, allein, zu zweit oder mit mehreren, je nachdem, was gerade zu tun war. Ich habe während all dieser Tage bei keinem der auf dem Hof und in der Wirtschaft Arbeitenden auch nur einen Anflug von Gegenwehr oder Ablehnung, ja nicht einmal eine Spur von Unlust bemerkt. Man machte sich keine langen Gedanken, nein, man grübelte überhaupt nicht über dies und das, sondern ging an die Arbeit und sorgte dafür, dass sie rasch getan wurde.
    Diese Einstellung wirkte auf mich sehr befreiend. Hatte ich früher unendlich viel Zeit zum Nachdenken gehabt, so kam ich jetzt nicht einmal mehr dazu, mir zu überlegen, was ich gern oder weniger gern tun würde. Außerdem waren den ganzen Tag lang ununterbrochen Menschen um mich herum, auf deren Gesten, Handreichungen und sonstige Zeichen ich reagieren musste. Ich konnte nicht lange nachdenken, wie mir dies oder jenes gefiel oder was ich lieber tun würde – so etwas war jetzt unmöglich, und ich hätte mich damit auch nur lächerlich gemacht. Ruhig und konzentriert eine bestimmte Arbeit zu tun – darum ging es jetzt und nur darum, auch mein Klavierüben wurde als eine solche Arbeit betrachtet, denn sie sorgte in der Gastwirtschaft und ihrer Umgebung für gute Laune.
     
    All

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