Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
Vom Netzwerk:
zu lernen.
     
    Schwimmen konnten beinahe alle, die auf dem Hof und in der Gastwirtschaft arbeiteten. Am frühen Abend, wenn die Arbeit getan war, liefen die jüngeren Männer hinunter zum Fluss, entkleideten sich und badeten nackt, indem sie sich bis nahe ans Wehr treiben ließen und dort tauchten. Die Frauen schwammen in einem Flussstück weiter flussaufwärts und hielten sich später an einer schattigen Uferpartie auf, an der drei mächtige Eichen dicht nebeneinanderstanden. Am schönsten aber schien es zu sein, an einer schmalen Kehre des Flusses hinüber ans andere Ufer zu schwimmen und dort einen steilen Felsen bis zur Spitze hinaufzuklettern. Von dort oben konnte man in den Fluss springen, der an dieser Stelle recht tief war, es waren Sprünge aus fünf bis sechs Meter Höhe, die vor allem die älteren Jugendlichen sehr reizten und dann mit viel Geschrei verbunden waren.
    Warum sollte ich nicht auch einmal von dort oben hinabspringen können? An den Abenden dachte ich vor dem Einschlafen oft daran und stellte mir vor, wie ich allein auf der Spitze des Felsens stehen und ohne weiteres Nachdenken herunterspringen würde. Dazu aber musste ich mir vorher das Schwimmen beigebracht haben, allein, ohne Hilfe, was sich im Grunde von selbst verstand, denn niemand in meiner Umgebung wäre wohl auf den Gedanken gekommen, sich eigens darum zu kümmern, dass ich schwimmen lernte.
    Reiten, schwimmen, laufen, Gras mähen – das alles war auf dem Land ja nicht eigentlich eine Sache des Lernens, sondern des Anpackens. Man wurde auf ein Pferd gesetzt, ließ sich ins Wasser fallen oder nahm eine Sense in die Hand – irgendwann war man dann so weit, dass man so etwas beherrschte. Deshalb war es am besten, einfach an jedem Abend mit in den Fluss zu springen und dann im Wasser ein Stück dicht am Ufer entlangzugehen.
    Ich duckte mich ins Wasser, ich versuchte, die Beine so zu bewegen, wie ich es bei den guten Schwimmern gesehen hatte, vorerst aber kam ich damit nicht weiter, sondern sank jedes Mal, wenn ich schwimmen wollte, wie ein Stein in die Tiefe.
     
    Weiter kam ich mit meinen unbeholfenen Übungen erst, als ich durch einen Zufall erkannte, dass dieses Sinken in die Tiefe, das mich sonst nur ängstigte und mich die Füße sofort wieder auf den Boden setzen ließ, den eigentlichen Schwimmgenuss darstellte. Diese wichtige Entdeckung machte ich an einem sonnigen Frühabend, und zwar nicht beim Baden im Fluss, in dem alle anderen badeten und schwammen, sondern ganz in der Nähe von Hof und Wirtschaft in einem Weiher, von dem ich fest annahm, dass ihn außer mir kaum jemand kannte.
     
    Dieser Weiher lag in der Talsohle eines kleinen Wäldchens, in das ich einmal mit Vater während eines Spaziergangs geraten war. Vater hatte davon gesprochen, dass es in diesem Wäldchen im Herbst oft viele Pilze gebe und dass der Grund für die besondere Vegetation in diesem Waldgrundstück das leicht sumpfige Gebiet weit unten in der Talsohle sei. Ein Weiher oder auch ein kleiner See befinde sich dort unten in der Tiefe , hatte Vater gesagt, und genau diese magisch und geheimnisvoll wirkende Formulierung war es gewesen, die mich sofort dazu gebracht hatte, ihm etwas zu signalisieren: Ich wollte mit ihm nach dort unten gehen, ja ich wollte mir unbedingt genauer anschauen, was es dort zu sehen gab. Vater aber hatte nur abgewinkt, nein, hatte er gesagt, nach dort unten begleite er mich nicht, es sei dort dunkel und stickig, und außerdem gebe es dort keine richtigen Wege, sondern nur totes Unterholz.
     
    Wenig später war ich dann einmal allein in das Wäldchen gegangen und langsam das recht steil ins Tal hin abfallende Gelände hinabgestiegen, es war viel einfacher gewesen als ich gedacht hatte, und unten, in der Talsohle, hatte es durchaus noch einige Wege gegeben, die alle auf den kleinen See zuliefen, der ringsum von dichten Schilfmatten umgeben war. An einer Seite des in dunklem Schatten daliegenden Gewässers aber stand noch eine alte Holzhütte und neben ihr befand sich noch immer ein schmaler Holzsteg, der weit in den See hinausführte.
    Auf diesem Steg war ich mehrmals entlanggegangen, wenn ich mich für eine halbe Stunde vom Hof hatte entfernen können, ohne dass es weiter auffiel. Ich hatte mich sogar mit dem Rücken auf den Steg gelegt und mir vorgestellt, wie paradiesisch es wäre, wenn die Sonnenstrahlen bis zu mir hinabreichen würden, unvorstellbar schön könnte das sein, und dann hatte ich an einem frühen Abend bemerkt, dass

Weitere Kostenlose Bücher