Die Erfolgsmasche
gegessen, und nun ist sein Gesicht komplett zugeschwollen. Seine Lippen ähneln Autoreifen, und er kann kaum noch aus den Augen schauen.
Genau. Deshalb kann er auch nicht zur Pressekonferenz kommen. Nein, besser: Er musste bei seinen kranken Kindern bleiben! Das kommt doch wahnsinnig sympathisch rüber,
wenn ein Mann so etwas tut! Bei einer Mutter ist das ja selbstverständlich. Aber bei einem Vater! Vielleicht gelingt es mir, dass Sebastian Richter eines Tages heiliggesprochen wird, ohne dass er jemals lebend gesehen wurde? Meine Fantasie treibt schon wieder Blüten, und ich hänge mit einem dümmlichen Lächeln im Gesicht über meinem Schreibtisch. Der heilige Sebastian Richter.
Dann steht er vielleicht als marmorner Säulenheiliger im Mirabellgarten oder am Leopoldskroner Weiher, umlagert von einem Haufen fotowütiger Japaner, und der Fremdenführer erklärt, um wen es sich handelt.
»Hai, hai«, werden die Japaner dann nickend murmeln. »Sebastian Lichtel!« Und ihn von allen Seiten fotografieren.
»Du siehst nicht gut aus«, begrüßt mich Siegfried, als er mich grübelnd am Computer sitzen sieht. Auf meinem Schreibtisch befinden sich eine halb volle Kaffeetasse und ein angebissenes Brot, das ich ganz vergessen habe. Mein Magen knurrt, und trotz des sommerlich warmen Wetters friere ich wie ein Schneider in diesem kalten Gemäuer. Überall liegen Zettel mit den geplanten Handlungssträngen und Schlagertexten herum.
Einem Impuls folgend, springe ich auf und falle dem lieben Siegfried um den Hals. Einfach so.
»Ach, Siegfried«, höre ich mich seufzen. »Schön, dass du da bist!«
Siegfried erstarrt vor Schreck. Schließlich hebt er einen Arm und tätschelt mir unbeholfen den Rücken. »Ja … äh … ich war gerade zufällig in der Nähe.«
Ich halte ihn auf Armeslänge von mir ab und spähe prüfend in sein Gesicht. Winzige Schweißperlen stehen auf seiner Oberlippe. Wie immer ist seine Brille beschlagen.
Mit einer fahrigen Bewegung nimmt er sie ab und schaut
mich mit seinen leicht schielenden dunkelbraunen Augen eine Spur zu intensiv an.
»Sonja, ich wollte … Ich wollte dir eigentlich schon lange sagen, dass ich gefühlsmäßig … Also, ich finde, dass du eine wirklich tolle Frau bist und fühle mich in deiner Nähe …«
Mein Herz setzt aus. Oh Gott, bitte nicht. Jetzt nicht auch noch das.
»Siegfried, können wir das bitte … verschieben?«
Er hat sich doch nicht etwa in mich … Ich meine, er glaubt doch nicht etwa, dass …
»Siegfried«, sage ich mit dem entschlossensten aller Ichhab-mich-im-Griff-Blicke, »lass mich erst das Musical zu Ende schreiben. Und dann besprechen wir alles Weitere.«
Ich räuspere mich und lasse auf der Stelle von ihm ab. »Also! Willst du einen Kaffee? Oder hast du Hunger? Musst du Pipi?« Ich höre mich schon genauso mit ihm reden wie mit den Kindern.
»Ich dachte, wir sollten dir vielleicht ein Notebook kaufen«, sagt Siegfried. »Dann kannst du draußen arbeiten. Ich weiß doch, was für eine Sonnenhungrige du bist!« Siegfried nimmt ein Taschentuch und putzt umständlich seine Brille. »Ich war sogar schon draußen in Mayrwies und habe mir ein passendes Gerät für dich angesehen.«
Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Dieser Mensch scheint sich wirklich pausenlos Gedanken um mich zu machen. So was bin ich gar nicht gewohnt. Noch nie hat sich jemand in so rührender, eifriger Weise um mich gekümmert.
Warum liebe ich ihn denn bloß nicht? Warum liebe ich … ein Foto? Ein … Phantom?
»Mamaaaa!«, tönt es aus der Küche, in der inzwischen ein
halbes Dutzend Jugendliche versammelt ist. »Kannst du mir das weiße Hemd bügeln?«
»Alex geht heute auf einen Maturaball«, raune ich Siegfried verschwörerisch zu. »Er hat ein neues blondes Gift dabei!«
Ich traue mich nicht, nach ihrem Namen zu fragen aus Angst, sie könnte schon mal hier gewesen sein. Die blonden Gifte von Alex ähneln einander wie die Stiegl-Flaschen in einem Bierkasten. Noch einmal möchte ich nicht in folgendes Fettnäpfchen treten:
»Tanja, du hast letztes Wochenende dein Haargummi bei uns vergessen!«
»Mamaaa! Erstens ist das Silvana, und zweitens ist das ein Tangaslip.«
Als ich Siegfried von meinem peinlichen Irrtum berichte, kommt Leben in den Mann. »Warum bügelst du dir dein Hemd nicht selbst?«, ruft er zurück. Ich erstarre.
Siegfried kann rufen! Wie wird Alex reagieren?
»Gute Idee«, tönt es, begleitet von wieherndem Gelächter aus der Küche. »Wenn du mir
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