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Die Erlösung der Frauen (German Edition)

Die Erlösung der Frauen (German Edition)

Titel: Die Erlösung der Frauen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucius Forster
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Für Johann war die ganze Welt ein einziges intellektuelles Problem und da er kein Geld verdienen musste, war sein einziger Daseinsgrund, sich über dieses Problem Gedanken zu machen. Was man ihm anvertraute, behielt er für sich. Er hatte niemandem, dem er es erzählen konnte und er wollte auch niemanden haben. Er war, wenn man so will, ein passionierter Eremit, wenn auch innerhalb recht nobler Verhältnisse.
    Donalds Anruf hatte ihn ganz offensichtlich in einem für ihn zentralen Gedankengang gestört: Johann sprach leidenschaftlich, geradezu in Ekstase.
    Ich lese ein Buch über die Varusschlacht, die war im Jahr 9 nach Christus, das Buch ist aber erst vor drei Jahren erschienen. Das passt schon nicht zusammen. Dazu trinke ich einen 1995er Barolo von einem 200 Jahre alten Weingut und esse Tournedos Rossini, das ist Rinderfilet mit foie gras, Trüffeln und Madeirasauce, ein Rezept aus dem 19. Jahrhundert. Ich überlege, ob ich mit meinem 7er BMW Baujahr 1982 – Youngtimer, eine Schwäche von mir – in den Teutoburger Wald fahren soll, aber dann denke ich an Osnabrück oder an Bielefeld und mir wird schlecht – obwohl ich nicht mal weiß, wie’s da aussieht. Mit dem Schwert in der Hand durch einen Sumpf zu stampfen stelle ich mir romantisch vor, aber nur weil es ja heute schon romantisch ist, kein iPhone dabei zu haben. Genauso romantisch muss es im Palast des Augustus zugegangen sein, als der gesagt hat: Varus, gib die Legionen zurück! Aber wenn ich jetzt da hin fahre, egal ob in den Teutoburger Wald oder nach Rom ins Domus Augusti, dann sehe ich nur Mountainbikes und amerikanische Touristen. Das ist Leichenfledderei, diese ganzen so genannten Historiker sind Grabräuber, die sind nekrophil, das sind Leichenficker! Besser das Gold der Pharaonen einschmelzen als es in ein Museum hinter Glaskästen zu stecken und Schulklassen damit zu quälen! Was hat Karl der Große, was haben Bismarck oder Hitler uns heute noch zu sagen? Gar nichts! Nicht mal die Berliner Mauer hat noch irgendeine Bedeutung. Wer sich da heute hinstellt an den Checkpoint Charlie und sagt „Schon irgendwie krass, dass das früher mal ne Grenze war“, wer sowas sagt, der ist ein Riesenarschloch, der spuckt auf die Todesopfer der Mauer, der spuckt auf Deutschland, der spuckt auf sich selbst. Wir haben keine Geschichte mehr!
    Donald hatte kein Interesse, Johanns Ausführungen zu folgen. Aber er entnahm ihnen eine gewisse Verzweiflung und ein stark wucherndes Mitteilungsbedürfnis, so dass er kurzerhand ein Treffen vorschlug. Johann willigte ein, da er schon seit drei Tagen das Haus nicht mehr verlassen hatte und sich ohnehin gern wieder einmal davon überzeugen wollte, dass die Welt noch da war. Ein Stadtbummel sei ihm allerdings zu anstrengend, meinte er, da würde man ständig angerempelt. In ein Café wollte er sich auch nicht setzen, da ihn diese verblassten Überreste bourgeoiser Institutionen schwermütig machten und in einem Restaurant bekomme er schlechte Laune wegen des schlechten Essens:
    Die servieren dir eine paar labbrige Nudeln, schütten Trüffelöl drauf und alle machen Ohh und Ahh. Eine Dorade im Pergamentpapier gilt schon als haute cuisine, da kriege ich doch das Kotzen bevor ich überhaupt zur Gabel greife. Die Welt da draußen gibt ständig vor, besser und schöner zu sein, als sie ist. Warum lässt nie mal jemand die Hosen runter und sagt: Ich habe Pickel auf dem Arsch!
    Als Donald ihm darauf hin einen Besuch bei Burger King am Hauptbahnhof vorschlug, war Johann begeistert. In seiner Borniertheit fand er diesen Gedanken äußerst originell, geradezu genial. Er müsse da allerdings in jedem Falle ein Taxi nehmen, fügte er hinzu: In der U-Bahn würde ihm immer schlecht.

    // Als Donald wie verabredet um 17 Uhr in der Bahnhofshalle erschien, stand Johann längst an der Brüstung im ersten Stock und studierte interessiert die große Zuganzeige am Bahnsteig. Er wirkte wie ein Fremdkörper in dieser Umgebung mit seinem karierten Oxford-Sakko und der braunen Cordhose zwischen all den sommerlich gekleideten Reisenden und Touristen mit ihren Flipflops und Bermudashorts, wie ein Zeitreisender aus dem 19. Jahrhundert, der sich fasziniert an der utilitaristischen Sachlichkeit der neuen Zeit ergötzt: An den kalten blassen Fassaden, der pragmatischen Architektur, dem Neonlicht, der spärlichen Ausstattung der Aufenthaltsräume, die so ganz ohne fantasievolle Details auskam, ohne wertvolle Materialien, ohne geschwungene Linien, Säulen,

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