Die Ernaehrungsfalle
das sogenannte »Leaky-Gut-Syndrom«, der durchlöcherte Darm. Selbst Hyperaktivtität kann durch den löchrigen Darm befördert werden, weil die auslösenden Allergene sich leichter verbreiten können.
Darmhirn
Als Darmhirn oder »Zweites Gehirn« (»Second Brain«) bezeichnen Neurologen die intelligenten Strukturen im Verdauungstrakt. Denn überraschenderweise hat der Mensch im → Darm die gleichen Nervenzellen (Neuronen) wie im → Gehirn - und zwar in großer Zahl: 100 Millionen Neuronen, die größte Ansammlung von grauen Zellen außerhalb des Kopfes.
Als Entdecker des intelligenten Darms und Begründer einer neuen Forschungsrichtung, der Neurogastroenterologie, gilt Professor Michael Gershon von der New Yorker Columbia University. Mit seinen Thesen vom Zweiten Gehirn löste Gershon zunächst einen Sturm der Entrüstung aus. Doch dann machte das Fach schnell Karriere. Neben einer eigenen Fachzeitschrift ( Neurogastroentereology and Motility ) gibt es eine europäische Internet-Heimat ( www.neurogastro.org ) und Fachgesellschaften in Italien, Frankreich, Spanien, Belgien sowie den skandinavischen Ländern. In Deutschland gibt es einen Arbeitskreis Neurogastroenterologie und Motilität, eine nationale Homepage ( www.neurogastro . de) und Kongresse für die wachsende Zahl der Darmhirnforscher.
Der Darmkanal wird nach ihren Erkenntnissen in mehreren Schichten umhüllt von Nerven, die den Strang überziehen wie dünne Netzstrümpfe. Dort sitzen nicht nur die gleichen Nervenzellen wie im Hirn, dort wirken auch die gleichen Neurotransmitter wie im großen Hirn. Der Darm muss auch höchst intelligente Leistungen vollbringen: Er muss als Sitz maßgeblicher Teile des Immunsystems bei Bedarf Abwehrschlachten organisieren, körpereigene Killerzellen mobilisieren und Angreifer unschädlich machen. Und er muss auch das soziale Gefüge unter Kontrolle halten: Über 500 Bakterienarten leben im Darm, insgesamt 100 Billionen (100 000 000 000 000) Keime mit einem Gesamtgewicht von eineinhalb Kilo arbeiten bei der Verarbeitung der Nahrung mit - und können dem Körper auch gefährlich werden: Denn viele von ihnen sind potenzielle Killer, könnten einen Menschen umbringen, wenn sie die Oberhand gewinnen. Der Darm muss daher ständig Daten erheben, aus einer unglaublichen Vielzahl von Informationen auswählen, Entscheidungen fällen, sich an vergangene Maßnahmen erinnern. Er muss die Abwehrschlachten sinnvoll organisieren - und auch sehen, dass es die Richtigen trifft. Er muss pausenlos handeln, und er trägt dabei eine große Verantwortung: Denn von seinen Maßnahmen hängt unser Leben ab. »Das Immunsystem ist dermaßen potent, wenn es wollte, könnte es unseren Körper ruckzuck auflösen«, sagt Professor Stephan Bischof, Darmforscher an der Universität Hohenheim und zeitweilig Gastprofessor bei Michael Gershon in New York. »Das Immunsystem muss sozusagen Gut und Böse unterscheiden«, sagt Bischof.
Erste Hinweise auf die Autonomie des Darmes fand der deutsche Nervenarzt Leopold Auerbach Mitte des 19. Jahrhunderts, als er ein Stückchen Gedärm zerlegte und unter einem einfachen Mikroskop etwas sah, das ihn überraschte: ein Netzwerk von Nervenzellen und -strängen, zwischen zwei Muskellagen versteckt. Dass dies alles selbsttätig funktionieren kann, entdeckten die britischen Forscher William Byliss und Ernest Starling. Sie hatten in ihrem Labor einen Hund betäubt und dessen Gedärm ans Tageslicht geholt. Auf Druck reagierte
das Verdauungsorgan mit rhythmischen, wellenartigen Muskelbewegungen. Der Darm »dachte«, der Nahrungsbrei sei unterwegs und müsste weitergeschoben werden. Sogar als sie alle Nervenverbindungen zum Gehirn kappten, reagierten die Eingeweide auf Druck mit An- und Entspannung.
Wissenschaftler fanden zu ihrer großen Überraschung heraus, dass 90 Prozent der Informationen von unten nach oben transportiert werden. »Little Brain« speist »Big Brain« mit Neuigkeiten - die meisten Nachrichten werden von unten nach oben weitererzählt. Die Botschaften des Bauches sind dauernd präsent, wir nehmen sie nur nicht wahr: Wenn wir alle Aktivitäten mitbekämen, würden wir verrückt werden. Wir könnten uns beim Essen nicht unterhalten, die Verdauung würde uns stundenlang in Anspruch nehmen.
Der Darm führt nicht nur ein Eigenleben, er herrscht sogar über andere Sphären: Er gibt den Nachbarorganen Anweisungen, koordiniert die Infektabwehr und die Muskelbewegung, er muss schnell arbeiten und gespeichertes
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