Die Ernaehrungsfalle
Wissen abrufen. Und er ist in der Lage, Zustände zu registrieren, zu analysieren und darauf zu reagieren. Kopfhirn und Darmhirn stehen in ständigem Austausch, interessieren sich für die gleichen Sachverhalte, regen sich über die gleichen Ereignisse auf, freuen sich auch gleichzeitig und leiden gemeinsam - sie sind gewissermaßen wie siamesische Zwillinge. So können äußere Umstände, Gefühlslagen, Erfahrungen die Darmtätigkeit beeinflussen.
Selbst in der Nacht reißt der Kontakt nicht ab: Der Darm träumt mit. Parallel zu den nächtlichen Gehirnwellen in 90-Minuten-Abständen, in denen das Auge schnelle Bewegungen vollführt (»Rapid-Eye-Movement«, REM), bewegt sich auch der Darm, in langsamen Wellen. Dabei hätte er eigentlich mangels Nahrungszufuhr gar nichts zu tun. Wenn er allerdings eine Nachtschicht fährt, weil sein Besitzer spät noch schlecht gegessen hat, dann hat auch der Geist darunter zu leiden: Wer ihn so traktiert oder sonst unter Darmproblemen leidet, neigt erwiesenermaßen zu Alpträumen. Wenn umgekehrt das Hirn
droben geschädigt ist, zeigen sich merkwürdigerweise auch Schäden im Darm. Bei → Alzheimer-Patienten und → Parkinsonkranken , bei denen bekanntlich wesentliche Gehirnfunktionen gestört sind, fanden sich die gleichen Typen von Gewebeschäden im Bauch, jene sogenannten Plaques und Neurofibrillen, die sich im geschädigten Gehirn zeigen. Manche Mediziner hoffen schon auf eine Frühdiagnose von Demenz - durch Darmbeschau. Auch bei → BSE, dem Rinderwahn, ist der Darm extrem befallen. Bei Autismus ist der Darm ebenfalls betroffen, viele Patienten leiden an chronischer Verstopfung, Entzündungen oder auffälligen Zellveränderungen in der Darmschleimhaut. Auch bei hyperaktiven Kindern (→ ADHS) zeigten sich oft Entzündungen im Darm oder erhöhtes Wachstum von Lymphgewebe, was auf eine → allergische Reaktion hindeutet. Andererseits schlagen Probleme im Verdauungstrakt auch aufs Gemüt: 40 Prozent der Reizdarm-Patienten leiden an Angsterkrankungen und → Depressionen , manche gar an Panikstörungen. Mit Morbus Crohn, einer chronischen Darmentzündung, gehen ebenfalls oft seelische Probleme einher - und eine Psychotherapie bessert oft auch das Brennen im Bauch.
Das autonome Darmleben wird allerdings von außen bedroht. Denn im Nahrungsangebot finden sich mehr und mehr artfremde Zusätze, die von Kopfhirnen ersonnen wurden, von Lebensmitteltechnologen, Chemikern, Ingenieuren. Und diese neuen industriellen Nahrungs-Cocktails werden zu einer Gefahr für das Milieu dort unten. Es sind vor allem die chemischen Zusatzstoffe, die die Darmtätigkeit beeinträchtigen - und damit auch die Psyche und Geistesleistung. Der sogenannte Geschmacksverstärker → Glutamat wirkt ganz direkt aufs Darmgeschehen. Denn der Neurotransmitter zählt auch zu den Stoffen, welche die Aktivitäten des »Zweiten Gehirns« ermöglichen - und, in erhöhter Dosis, Schaden anrichten. In Versuchen reagierten Ratten sowohl durch Glutamat als auch durch den Süßstoff → Aspartam mit Muskelkontraktionen in bestimmten Regionen des Verdauungstraktes. Glutamat ist bekanntlich ein erregender Botenstoff, regt also auf noch nicht genau geklärte Weise die Verdauungstätigkeit an - und
kann daher im Übermaß zu Durchfall, Magenkrämpfen, Reizdarmsyndrom, Blutungen, Übelkeit und Erbrechen führen. Auch bei Medikamenten gibt es häufig Verbindungen zwischen Kopfhirn und Darmhirn; so wirken etwa psychiatrische Medikamente häufig auch auf den Darm. Das in Amerika verbreitete Antidepressivum Prozac etwa führt bei einem Viertel der Patienten zu Übelkeit, Durchfall oder Verstopfung. Auch Drogen wie Heroin oder Morphium docken an die Opiat-Rezeptoren des Verdauungstrakts an - und verursachen ebenfalls Verstopfung. Ein → Migränemittel beruhigt auch überaktive Eingeweide, Betäubungsmittel können Entzündungen im Darmtrakt in Schach halten. Das erste Medikament gegen die Volkskrankheit Reizdarm war eigentlich eine Psycho-Droge, es war ursprünglich als Medikament gegen Angst entwickelt worden.
Davis, Clara
Die kanadische Kinderärztin Clara Davis zeigte in mehreren Untersuchungen, dass Kinder instinktiv die Nahrung auswählen, die für sie wichtig ist. Ihre erste berühmt gewordene Studie veröffentlichte sie 1928 im American Journal of Diseases of Children . Dafür untersuchte sie die Nahrungsauswahl von drei Jungs im Alter von sechs bis neun Monaten. Sie ließ ihnen die freie Wahl zwischen 34 verschiedenen
Weitere Kostenlose Bücher