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Die Ernte

Die Ernte

Titel: Die Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Hempel
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verzweifelte Hingabe zur Schau, indem er um unsere Beine herum sprang.
    »Ich dachte immer, dass ich so geliebt werden will«, sagte ich. »Aber ich will so nicht geliebt werden.«
    Jean schob den Hund von ihrem Rock und sagte: »Würde es helfen, wenn du es für aufgesetzt halten würdest?«
    Die Braut, in vollem Gewand, wurde für die Fotos gerufen. Jean ließ einen Träger ihres rosafarbenen Kleides fallen. »Oh, Jim – bitte nicht«, sagte sie mit heiserer Stimme.
    »Oh, Jim – bitte«, sagte ich, ganz aus dem Hals gehaucht.
    »Oh Jim –«, sagte Jean.
    »Oh«, sagten wir beide zusammen.
    Jean erinnerte sich, wie sie den Barkeeper nach Schwester Marianne gefragt hatte, ob er nie daran gedacht hatte, es mit ihr zu tun, und der Barkeeper hatte zurückgegeben: »Sie umbringen?«
    »Stell’ dir vor, dass du es wärst«, sagte Jean zu mir. »Stell dir vor, du bist es, die heute heiratet.«
    Ich tue es.
    Ich stelle mir vor, im Bett eines Jim aufzuwachen.
    Sein Telefon klingelt. Ich stelle mir vor, dass es eine Frau ist, die anruft, und weil ich die Ehefrau bin, antworte ich in einer Stimme, die sagt: Ich habe ihn heute schon zehn mal gehabt, und
ich lebe hier
.
    Das ist es, was Ehe für mich bedeutet.

DER TAG, AN DEM ICH ALLES HATTE
    Als Mrs. Lawton die Bedrohung telefonisch meldete, war die Bedrohung schon eine Tatsache. Ihr Noch-Ehemann sagte, er habe es an ihrer Stimme hören können. Also rief er einen Krankenwagen, vereinbarte einen Termin mit dem besten Arzt der Stadt, ging früher aus dem Büro und fuhr zum Lawtonschen Landsitz, wo er das Haus abschloss und die Hunde in Pflege gab, um dann in die Stadt und zu seiner Frau im Krankenhaus zurückzukehren.
    Mr. Lawton brachte Mrs. Lawton Blumen – Freesien und Gelbe Schwertlilien – und er brachte ihr eine Rechnung über fünfhundert Dollar, zuzüglich der Kosten für die Opernkarten, die er nicht hatte benutzen können und zuzüglich weiterer hundert Dollar für das, was er Service am gleichen Tag nannte.
    Wieder zu Hause, eine Woche später, empfing Mrs. Lawton Besucher. Sie richtete ein erschreckendes Büffet aus Budweiser und Obstkrapfen an und beantwortete die Frage, die jedem auf dem Herzen lag – ob sie die Rechnung ihres Mannes bezahlt hatte oder nicht.
    Ich hörte Mrs. Lawtons Geschichte beim wöchentlichen Treffen. Meine Freundin Lee hatte mich mitgebracht, sechs Monate, nachdem der Club gegründet worden war.
    Lee starb vor zehn Jahren; sie kann einfach nicht aufhören, darüber zu reden.
Wozu
auch aufhören; dafür ist der Club ja da, erklärte sie.
    Als Lee und ich zu Mrs. Lawtons Haus kamen, waren die anderen Mitglieder schon in Mrs. Lawtons Wohnzimmer. Die anderen Mitglieder waren auch Frauen. Lee erzählte mir, dass es einmal einen Mann gegeben hatte, der regelmäßig kam, einen Mann, der auf dem Operationstisch gestorben war. Wenn er an der Reihe war, gewesen war, hatte der Mann immer nervös gelacht und gesagt: »Ich kann euch nicht sagen, wie es war – ich hab’ alles verschlafen.« Nachdem er ein paar Mal gekommen war, sagte Lee, sei der Mann nicht wiedergekommen.
    Ich beobachtete, wie eine recht junge Frau mit glänzend schwarzem Haar über Mrs. Lawtons Baby Grand gebeugt Note um Note eine trauermarschlangsame Version von »Will You Still Love Me Tomorrow?« spielte – recht demonstrativ, wie sich herausstellte, denn die Frau am Flügel, wie Lee mich einweihte, war gerade verlassen worden, nachdem sie ihrem Zukünftigen von dem Rückfall erzählt hatte, und davon, dass sie diesmal wirklich eine verlieren würde, vielleicht sogar beide.
    Ich ging hinüber und stellte mich in einer Lauscherpose neben den Flügel. Die Frau sah auf und an mir vorbei, zum offenen Fenster hinaus.
    »Der Teufel schlägt seine Frau«, sagte sie.
    Es war ein sonniger Tag und ein Regenschauer hatte gerade eingesetzt, und diesen Ausdruck – diese Erklärung – hatte ich nicht mehr gehört, seit ich ein Kind gewesen war.
    Draußen war die Art von Garten, die man sich für Sommerhochzeiten wünscht. Ich griff durch das Wohnzimmerfenster und pflückte eine Pflaume von einem Baum. Die Sonne ließ mich blinzeln, während der Regen sich auf meinem Handgelenk kalt anfühlte.
    Die Pflaume ließ ich auf der Fensterbank. Sie erinnerte mich an eine Zeit, in der ich nicht starb, und doch glaubte, zu sterben, und zwar an Übelkeit, die alles beherrschte, bis ich das Fruchtfleisch aus einem Dutzend Umeboshi-Pflaumen gelutscht hatte, diesen eingelegten Kernchen, die in

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