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Die Ernte

Die Ernte

Titel: Die Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Hempel
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brachten von zu Hause alle seine Spielzeuge, und dazu neue, die sie ihm nur für diesen Tag gekauft hatten, alles, was der achtjährige Junge immer gewollt hatte.
    Am nächsten Tag, erzählte mir der Mann, sagte der Arzt, dass er doch nicht sterben werde; dass er stattdessen eine andere, eine höchst ansteckende, Krankheit habe. Der Junge würde leben, sagte der Arzt, und ordnete dann die Vernichtung all der kontaminierten Spielzeuge an.
    ‚Am einen Tag hatte ich alles‘, sagte der Mann, ‚und am nächsten Tag hatte ich nichts.‘ Er sagte das, als ob er eine Anweisung mitteilen wolle.
    ‚Außer deinem Leben‘, sagte ich zu dem Mann. ‚Du hattest nichts außer deinem
Leben
‘«, sagte Mrs. Lawton.
    Sie machte eine kurze Pause und fuhr dann fort.
    »Nun, ich wünschte, der Mann hätte mir etwas erzählt, das mit ‚Niemand sonst weiß davon …‘ anfängt, damit ich es jeder von euch erzählen könnte. Wozu sind diese heißen Kollisionen da, wenn nicht dazu zu beweisen, dass man da war?
    Hört, was er zu mir sagte«, sagte Mrs. Lawton. »Er sagte, er sei fast davon ohnmächtig geworden, mich nicht zu berühren«, sagte sie. »Er sagte mir das, als ich ihn zum ersten Mal sah und als ich ihn zum letzten Mal sah. Dieser Tag war der gleiche«, sagte Mrs. Lawton. »Der Tag, an dem ich alles hatte.«
    Ich wünschte, ich könnte schlaue Dinge sagen, indem ich sie einfach sage. Denn Mrs. Lawtons Geschichte ließ mich etwas empfinden. Aber der Moment verlor sich; die Geschichte schien eine Art Stichwort zu sein, oder einfach ein Gesprächskiller. Die Clubmitglieder waren auf den Beinen, sie torkelten zwar nicht, bewegten sich aber auch nicht schnurstracks zur Tür.
    Jean, als Softporno-Ehrengast, zog offen ein weiteres ihrer Geschenke an, ein schwarzes Spitzenmieder und passende Cancan-Höschen. Sie war rot im Gesicht. Sie sah nicht länger aus, als fände sie die Welt unerträglich apokalyptisch.
    Ich hörte, wie eine makellos zurechtgemachte blonde Frau mit Jean sprach, während sie sich auszog. »Die Gesichtsbehandlung schien mir nicht genug«, sagte die blonde Frau, »also hab’ ich mich zum Juwelier aufgemacht. Wenn mich jemand fragt, wie es mir geht, sage ich: Schaut euch diese Perlen an! Später«, hörte ich die blonde Frau sagen, »habe ich die Halskette auf den Wohnzimmerboden gelegt, denn das, was ich wirklich brauche, ist ein neuer Perser.«
    In der Küche stolperte ich über eine Art »Und-du-glaubst-
das
-ist-schlimm«-Wettkampf. »Der?«, sagte eine Frau. »Das einzige Buch, das der je gelesen hat, ist das erste Kapitel von
Iacocca

    Nach kurzer Zeit waren es nur noch Lee und ich und Jean und Mrs. Lawton. Jean sprach wieder über Larry und sah entsprechend schlimmer aus. »Ich habe mir ausgemalt, wie wir zu Weihnachten Apfelkompott machen, der ganze Currier and Ives-Scheiß … und ich dachte die ganze Zeit: Was wir da haben – das geht manchmal als Liebe durch, obwohl ich doch hätte denken sollen: Liebe vergeht.«
    Mrs. Lawton sagte Jean, sie solle mir und Lee erzählen, was Larry als Letztes gesagt hatte, bevor er gegangen war, und Jean sagte, dass seine letzten Worte an sie waren: »Alles was ich mit dir getan habe, war Liebe.«
    »Da hat dieser Scheißidiot ja was schrecklich Süßes gesagt«, sagte Lee.
    Das ließ Jean in lautes Gelächter ausbrechen, und dann schien sie an etwas zu denken, das sie in noch lauteres Gelächter ausbrechen ließ. Sie teilte das, woran sie dachte, mit uns Dreien, und ich rannte direkt ins Badezimmer und schrieb auf, was sie sagte; ich wollte in der Lage sein, es weiterzugeben.
    Jean versuchte, zu beschreiben, wie sie glaubte, dass eine Ehe mit Larry aussähe; sie sagte, es würde so sein, als würde man in einem schlechten Hotel wohnen und dazu gezwungen sein, seinen Freunden Postkarten davon zu schicken, mit Pfeilen, die auf »mein Zimmer« zeigen.
    Ich bin froh, dass ich das aufgeschrieben habe.
    Als ich in Mrs. Lawtons Wohnzimmer zurückkehrte, hatten die Frauen sich erholt. Lees Wimperntusche war verlaufen. Alle drehten sich zu mir um.
    »Und, wie sieht es mit dem Glück bei Dir aus, Lees Freundin?« Das kam von Jean.
    Mir fiel wieder ein, warum der Club diese Party für Jean veranstaltet hatte und ich schämte mich für meine Antwort. Aber ich sagte Jean die Wahrheit.
    »Ich habe jemanden kennengelernt«, sagte ich. »Ich bin glücklich. Ich bin vielleicht verliebt.«
    Jean kannte mich nicht, und Mrs. Lawton kannte mich nicht, aber das hielt sie nicht davon

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