Die Ernte
Sie nahm das Telefon und versuchte mit zugekniffenen Augen die altmodische Wählscheibe zu sehen. Sie zählte mit ihren Fingern die Löcher der Scheibe und wählte dann ihre eigene Festnetznummer.
Robert hob schon ab, bevor noch der erste Klingelton verklungen war. »Tam?«, fragte er atemlos.
»Ja, Liebling. Ich bin´s.«
Er seufzte entweder vor Erleichterung oder vor Ärger. »Wo zum Teufel – Ich meine, Entschuldigung, ich habe mir solche Sorgen gemacht – wo bist du, Schatz? Geht es dir gut?«
Sie nickte und musste mit Tränen und gleichzeitig aufkommender Freude, die sich vermischten, ankämpfen. »Ja, mir geht´s gut. Gott, ich habe dich vermisst!«
»Ich habe dich auch vermisst. Was war los?«
»Das ist eine lange Geschichte. Du weißt doch, meine innere Stimme?«
»Ah…«
»Sie ist hier. ES ist hier . «
»Was?«
»Und es ist größer, als ich gedacht habe. Sind die Kinder wohl in Sicherheit?«
»Ja, sicher. Sie schlafen. Aber was meinst du…«
»Sie müssen unbedingt in der Wohnung bleiben, hörst du? Ich muss jetzt auflegen, Schatz. Ich wollte dir nur sagen, dass es mir gut geht. Ich komme bald nach Hause.«
Hoffe ich. Gott, ich wäre jetzt gerne in meinem warmen Bett, mit meinem Flanellpyjama und Robert, der neben mir schnarcht und ohne Stimmen, die mir im Kopf herumgeistern und ohne Visionen. Kein Shu-shaaa und Peg-hiii und all die anderen verrückten Dinge. Nur normale, alltägliche Probleme.
»Leg nicht auf!«, flehte Robert.
»Ich muss. Pass auf die Kinder auf!«
»Tam, Ginger hat es auch«, platzte er heraus, gerade noch bevor sie auflegen konnte.
»Was?«
»Sie sieht Dinge. Du weißt schon. Sie hat etwas über Menschen mit grünen Augen gesagt. Schatz, hat das etwas mit deiner inneren Stimme zu tun?«
»Ja. Oh Gott, Robert. Es darf ihnen nichts passieren!«
»Sag mir, wo du bist.«
»Nein. Es ist besser so. Ich liebe dich!«, sagte sie und konnte diesmal ihre Tränen nicht stoppen.
Chester nahm ihr den Hörer aus der Hand. »Ihre Frau ist in guten Händen. Machen Sie sich keine Sorgen.«
Dann hörte Tamara, wie Chester plötzlich tief einatmete. Der Telefonhörer fiel auf den Boden. Feuchte, nässende Hände ergriffen ihre Schultern. Der Erdmund musste ihre Sinne überwältigt haben, denn sie hatte nicht gemerkt, dass sich eine der Kreaturen hinter ihr angeschlichen hatte. Jetzt, mit der Berührung, verband sich ihr Verstand für einen kurzen Moment mit dem Ding, das einst Junior Mull gewesen war.
Seine verdrehten Synapsen ließen einen Schwall Symbole auf sie los, Fishfuck Schnaps Autorauch Shu-shaa Cheshur Cheshur Cheshur Chesssh…
Sie versuchte zu entkommen, aber er – besser gesagt, es – schob sie nur zur Seite, so als ob sie nur jemandem im Wege stand, der zu seinem Liebsten wollte. Seine grünen Augen waren auf Chester fixiert und glühten wie radioaktive Edelsteine in einer dunklen Kohlenmine.
»Aha, du kommst also, um deine Familie zu besuchen?«, sagte Chester mit mehr als nur einem Anflug von Panik in seiner Stimme.
Das Ding schob sich an Tamara vorbei und ließ einen schleimigen Abdruck auf ihren Schultern zurück, da, wo seine Finger zugepackt hatten. Es näherte sich Chester mit feucht dampfendem Atem. Tamara merkte, dass die Kreatur durch einen Instinkt hierher gebracht wurde, so als ob die Familienbande es an diesen Ort gezwungen hatten.
Ihre Hellseherei hatte erst später das verstanden, was Chester sofort kapiert hatte. Denn Chester hatte das tropfende, wächserne Stück Moder, das seine Glieder nach ihm ausstreckte, erkannt.
»Junior, verpiss dich von hier! Du bist nicht richtig in der Birne. Kapierst du das, mein Junge?« Chester wich langsam über den Holzboden zurück.
»Shu-shaaa…bleib…Hause…«, sagte es mit gurgelnder Stimme, als ob sein weiter, nasser Mund auch voll Kautabak wäre. . . »Bleib…kish…Chescher…« . .”
Die grünen Augen schnitten wie eine Taschenlampe durch die Dunkelheit und Tamara sah in dem Schein die Angst in Chesters Gesicht. Sie tastete sich den Küchentisch entlang, als Junior Chester immer näher kam. Der alte Mann hielt seine Hände in die Höhe, so als wollte er ein Friedensangebot machen, aber der Wille der Kreatur war stärker, drängender und überzeugender.
Tamaras Finger spürten Geschirr und dann den Rand des Küchenwaschbeckens. Ein Krug fiel zu Boden und leuchtete kurz auf, bevor er auf dem Boden zerbarst. Dann fanden ihre Finger ein fettiges Metall, das sie aufhob. Die Schwere des Eisens in
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