Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ernte

Die Ernte

Titel: Die Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
Vom Netzwerk:
gedrungen.
    »Nettie?«
    Er rannte über den gepflegten Friedhof und versuchte den weißen Grabsteinen auszuweichen. Dabei betete er zu Gott, dass er Nettie beschützen würde und er kümmerte sich nicht darum, dass er mitten über dutzende Gräber lief. Aus dem Augenwinkel konnte er etwas Seltsames an dem Priester und seinen Weggefährten bemerken. Sie leuchteten.
    Dann roch er den Gestank, der seine Sinne wie ein Boxschlag traf. Fauliger Kohl und Stinkkraut, schimmlige Sägespäne und ranziger Wacholder. Ein feuchter und verwester Geruch.
    »Hilf mir, Bill!«, rief Nettie noch einmal.
    Er rannte durch die Mauer aus Grabsteinen, so wie er es mit den Verteidigern beim High-School-Football gemacht hatte, als er einen Touchdown nach dem anderen erzielte. Er hatte das Gefühl, dass dies jetzt der wichtigste Wettkampf seines Lebens war, bei dem mehr auf dem Spiel stand als der Meistertitel oder ein Uni-Stipendium.
    Die dunklen Ziegel des Pfarrhauses wirkten im Schatten der Bäume schwerfällig, seine Fenster, die weiß umrahmt waren, wie beruhigende Augen. Nettie saß auf den Stufen, hielt ihren linken Knöchel und drehte verzweifelt am Türknopf. Sogar aus einer Entfernung von zwanzig Metern konnte er die vom Mondlicht beleuchteten Tränen auf ihren Wangen sehen. Ihre Augen waren weit aufgerissen und voll Angst. Er rannte über das taufeuchte Gras zu ihr und kniete sich neben sie.
    »Was ist passiert, Liebling?«, flüsterte er und fühlte sich hilflos und ängstlich zugleich.  Nettie kam ihm vor wie ein Vogel, der sich einen Flügel gebrochen hatte und er wollte sie nicht berühren.
    »Ich glaube, dass mein Knöchel gebrochen ist«, stieß sie durch ihre zusammengebissenen Zähne hervor. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und drückte ihn an sich, dann legte sie ihren Mund an sein Ohr. »Ich bin so froh, dass du da bist!«
    Er hielt sie ein wenig weg von sich, um ihr in die Augen blicken zu können. Dann sah er ihren Knöchel, der über ihrem weißen Schuh in einem komischen Winkel zur Seite stand. »Was ist los?«
    »Der Pfarrer. Er ist verrückt geworden. Seine Augen…schau dir seine Augen an!«
    Bill drehte seinen Kopf zur Seite. Sie kamen immer näher, nass und tropfend, mit ausgestreckten Armen. Ihre Augen leuchteten unmenschlich tief und unheilig grün. Der Prediger lächelte und sein Mund war lebendig, wie ein Ding, das nicht zum Rest seines Körpers gehörte und voll von  leuchtenden Würmern war.
    Satan.
    Satan war hier, jetzt und genauso, wie es die Bibel vorhergesagt hatte. Das Ende der Welt war gekommen, aber ohne Pauken und Trompeten.
    »Liebes Jesuskind, rette uns«, murmelte Bill.
    »Ich glaube nicht, dass Jesus diese Leute besiegen kann«, sagte Nettie. »Zumindest nicht alleine.«
    Bill schüttelte vollkommen verloren den Kopf. »Grüne Augen. Das stand aber nicht in den göttlichen Offenbarungen.«
    Von dem kurzen Grasstreifen kamen Geräusche, die Hymnen der Hölle.
    »Bill, sie kommen.« Sie jammerte vor Schmerz. »Sie wollen mich. Uns. Uns alle.«
    Bill legte seine Arme unter Nettie und trug ihren Körper, der in seiner Erinnerung noch immer frisch und warm und nackt war. Ihr Atem streichelte seinen Hals. Er schaute sich um und suchte den besten Fluchtweg, aber da waren sie schon, nasse Arme und leuchtende Augen und tote, nasse Gesichter und aufgeplatzte Haut und Fingernägel, so scharf wie Dornen.
    Der Prediger näherte sich mit seinem Mund, dessen dicke Lippen hungrig auf- und zuschnappten. Amanda Blevins oder der Dämon, der sich ihres fermentierenden Fleisches angenommen hatte, griff mit klebrigen Händen nach Bill. Andere waren zwischen den Bäumen oder den marmornen Grabsteinen hervorgekommen oder vielleicht sogar aus den Gräbern gestiegen. 
    Bill war verwirrt, so als ob ihm jemand einen tödlichen Drogencocktail injiziert hätte oder als ob sich Satan selbst seiner Sinne bemächtigt hätte. Denn Wörter und Bilder zuckten durch sein Gehirn, grüne Dinge, rasend schnell und nicht von dieser Welt. Er spürte, wie Nettie aus seinen Armen gerissen wurde, als er sich unter der Attacke der Gewächshauskreaturen drehte und wand. Zungen schlugen wie Schlangen an seine Wange.
    »Nettie!«, schrie er und schlug mit seinen Fäusten wie Vorschlaghämmer auf das weiße matschige Fleisch der Ausgeburten der Hölle.
    Plötzlich flackerte ein Flutlicht auf, das den ganzen Horror hell erleuchtete und die Höllenbande in all seiner Schrecklichkeit zeigte. Ihre Münder öffneten sich in apokalyptischer

Weitere Kostenlose Bücher