Die Ernte
herumschwirrten, waren die unterschiedlichen Positionen, die er mit Nettie Hartbarger einnehmen würde. Aber er war der lauteste in seiner Klasse in Henneway gewesen. Er war immer der unverblümteste Kritiker der Liberalen, der Babymörder und der Katholiken und anderer niederer Lebensformen gewesen.
Er hatte Gott um Kraft und um Rat gebeten, sodass er mit Gottes Hilfe Seinen Willen tun könnte. Und schließlich war er zu dem Schluss gekommen, dass es Gottes Wille sei, dass er nie die Bibel ganz lesen sollte. Armfields Vater konnte nicht einmal lesen und er war sicherlich in den Himmel gekommen, weil er immer das Haushaltsgeld aus dem Marmeladeglas genommen und bei der Kollekte in der Kirche gespendet hatte. Geld, das Armfield dringend für Kieferorthopädie gebraucht hätte, denn dann würden seine verdammten Zähne jetzt nicht wie die eines verfluchten Bibers vorstehen. Geld, das seine Mutter für eine Mammographie gebraucht hätte, bei der man vielleicht den Brustkrebs erkannt hätte, der sie so früh in die Arme des Herrn gebracht hatte, während Armfield in Henneway war. Geld, das vielleicht seine unterernährte Schwester davor bewahrt hätte, von der Familie davonzulaufen, um in Charlotte eine Hure zu werden.
Ein Blitz zuckte draußen über den Himmel, einmal, dann dreimal kurz hintereinander und beleuchtete die bunten Glasfenster. Aber der Jesus in dem Spiegelglas blieb unbeweglich, er kniete nur zwischen den Lämmern und sah so aus, als ob er ihnen die Bergpredigt in die Sprache des Blökens und Meckerns übersetzen würde. Dann krachte der Donner und ließ das handgehauene Bogengewölbe der Kirche erzittern.
»Der Herr ist heute besonders verärgert, Prediger«, sagte Lemly und lachte dabei so laut wie der Donner. »Da hat sich wohl jemand mächtig versündigt.«
Armfield nickte von der Kanzel herab. Obwohl er gerade auf Lemly herabblickte und sich außerdem eine feste Brüstung aus Eichenholz zwischen Lemly und ihm befand, hatte Armfield das Gefühl, als würde Lemly ihn bei weitem überragen. Lemly, mit seinen dunklen Augen, seinem eckigen Gesicht, seinen Muskeln und seiner gebräunten Haut. Lemly war früher ein Footballstar an der Uni gewesen, dann kam er aber nach seinem Abschluss in sein Heimatdorf zurück und hatte eine Baustofffirma eröffnet. Jetzt besaß er schon vier Läden in der Umgebung und ein fünfter war bereits in Planung.
Dieser Mann würde es schaffen, sogar an Jesus Baumaterial zu verkaufen.
Aber Bruder Lemly war eben auch ein Diakon und großzügiger Unterstützer der Kirche, außerdem ein Landrat und ein von allen respektierter Bürger. Wenn Armfield wissen wollte, was die Bevölkerung über ein bestimmtes Thema in Windshake dachte, dann fragte er Lemly. Zum Teufel noch mal, Lemly verkörperte die öffentliche Meinung, wenn man es genau nahm.
Die Kirchentüre öffnete sich noch einmal und die Spitze eines Regenschirms wurde sichtbar. Sie drehte sich langsam und hunderte Regentropfen spritzen auf den Boden. Dann hob sich die Spitze des Schirms und Armfields Kopf, der eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Glühbirne hatte, schien vor Freude aufzuleuchten.
»Hallo, mein Schatz«, sagte er und vergaß dabei sogar auf seine sonore Priesterstimme.
»Hallo, Papa. Hallo, Herr Lemly«, sagte Sarah. Sie schüttelte ihr Haar, ihr langes rotes Haar, das den Haaren ihrer Mutter so sehr ähnelte, mit der Ausnahme, dass es nicht wie das ihrer Mutter von unzähligen Stunden unter der Trockenhaube in Rita Fayes Schönheitssalon versengt war. Sarah lächelte und man konnte zwischen ihren Lippen ihre perfekten weißen Zähne erkennen. Armfield hatte es sich nicht nehmen lassen, dass alle seine Kinder Zahnspangen verpasst bekommen hatten, und sei es nur, damit sie nicht bei jedem Blick in den Spiegel ihren alten Vater verfluchen würden.
»Hallo, Sarah«, sagte Lemly. Er wandte sich wieder an Armfield. »Sagen Sie mal, Prediger…«
Armfield hatte darauf bestanden, dass er von seiner Gemeinde als "Prediger" und nicht als "Hochwürden" angesprochen wurde. So war es viel volksnäher. Außerdem gefiel es den Kirchenmitgliedern. Und kommenden Freitag war er zum Abendessen eingeladen. Und am Sonntag waren sie bei den Spenden viel freigiebiger.
Sie waren nicht so misstrauisch. Setzten ihn überhaupt nicht mit den Hochwürden Bakker oder Swaggart in Verbindung. Und auch nicht mit Falwell, der zwar nicht verurteilt wurde, der aber trotzdem noch einen schlechten Nachgeschmack bei all den Gläubigen
Weitere Kostenlose Bücher