Die Ernte
überlegte, was er mit dem Ding tun sollte.
Vielleicht bin ich gerade high. Nach zwei Joints ist das sogar ziemlich sicher. Aber ich bin sicher nicht so durchgeknallt wie dieses Fisch-Ding da.
Also Junior, nimm dieses Ding mit nach Hause und zeig es deinem alten Vater und frag ihn, ob er schon jemals so etwas gesehen hat. Er, der schon alles gefangen und getötet hat, was hier in den Appalachen so kreucht und fleucht. Aber das würde auch bedeuten, dass du erklären musst, warum du angeln warst, anstatt in der Schule zu sitzen. Das bringt dir wahrscheinlich eine Tracht Prügel ein oder zumindest eine ordentliche Standpauke.
Oder du kickst diese verfluchte Ausgeburt von einem Fisch zurück in den Bach und tust so, als hättest du ihn nie gesehen.
Junior zog sein Taschenmesser heraus und begann die Angelschnur zu kappen. Das Fisch-Ding zappelte unter seinem Fuß, konnte sich befreien und schnappte nach seinem Bein.
»Verdammt noch einmal!«, schrie Junior und sprang zurück. Die Augen der seltsamen Kreatur leuchteten grün und so hell wie die Neonlichter der Flipperautomaten in einer Spielhölle. Junior riss an der Angel, schleuderte so das Ding in die Luft und ließ es schließlich wieder auf den Boden klatschen. Er zog noch einmal fest daran und ließ den Kopf der Kreatur mit aller Kraft auf einen Felsen aufschlagen. Es machte ein Geräusch wie eine Wassermelone, die man auf den Boden fallen lässt.
In Panik ließ er ihn nochmal hart aufschlagen und noch einmal, so lange, bis das Ding nur mehr ein rötlich-grüner Haufen von zerfetztem Fleisch war. Dann stieg er mit seinem Stiefel auf den zerfleischten Körper und riss mit aller Kraft an der Angel, bis die Schnur endlich riss.
»Arschloch«, schnaufte er, noch völlig außer Atem. Er kickte das Ding ins Wasser und sah ihm zu, wie es sich um die eigene Achse drehte und dann langsam wie ein vollgesogenes Stück Holz auf den Boden des Bachbetts sank. Er blickte auf die zwei langen Risse im Hosensaum seiner Jeans.
Dann schaute er wieder auf das Ding im Wasser und wünschte sofort, er hätte das lieber nicht getan. Das zu Fischfilet zermatschte Stück Fleisch bewegte seine verstümmelten Finger-Flossen und zuckte mit seiner zerfetzten Schwanzflosse. Dann schwamm es entschlossen flussaufwärts.
Juniors Drogenrausch verließ ihn mit einem Schlag, genauso schnell wie die Seele eines gehenkten Mörders in die Hölle fährt.
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Chester stieg von der Veranda und Boomer folgte ihm zögerlich. Sogar der Hund konnte spüren, dass etwas faul war. Boomer senkte den Kopf und knurrte in Richtung des Dickichts, das dicht entlang des Zaunes wuchs. Boomer ärgerte sich nie genug, als dass er bloß Schatten anknurren würde.
Irgendetwas mit den Bäumen stimmt nicht, dachte Chester. Ich weiß, dass ich heute nur ein bisschen getrunken habe, aber dadurch sieht man höchstens doppelt oder man sieht Dinge, die nicht da sind. Aber etwas IST da, was auch immer es ist.
Chester schaute auf den Wald, der an sein Kornfeld, das voll Unkraut war, grenzte. Die Bäume waren gerade dabei auszutreiben. Der Löwenzahn zeigte sich auch bereits auf der Wiese. Zu dieser Jahreszeit konnte Chester normalerweise schon fühlen, wie sich die Bäume mit ihren frischen Blättern in Richtung Himmel streckten, um möglichst viel vom Sonnenlicht zu erhaschen.
Aber die Bäume oberhalb seines Hauses sahen seltsam krank aus. Nicht verwelkt, aber doch schlaff und niedergeschlagen, so als ob sie wegen irgendetwas traurig wären.
Im Frühling sollten die Bäume fröhlich sein. Im Winter war ihr Saft eingefroren und alles, was sie tun konnten, war im Nordwind zu zittern, während ihre Knochen hilflos abbrachen. Aber jetzt war das Tauwetter gekommen und man müsste meinen, diese hölzernen Wesen würden vor Freude zerspringen.
Und das grüne Leuchten war wieder da, obwohl es jetzt so schwach war, dass nur ein Bergbewohner mit einem Adlerauge wie er selbst das bemerken würde. Die wenigen Flugzeuge, die über die Berge flogen, würden nichts Ungewöhnliches bemerken.
Er hörte ein berstendes Geräusch und dann das Dröhnen von einem Baum, der auf den Boden aufschlug. Bäume fielen nur dann so um, wenn sie vom Blitz getroffen oder von einem Schneesturm in Eis gehüllt zum Fallen gebracht wurden. Aber im März, wenn ihre Wurzeln sich mit dem Schmelzwasser, das im Erdboden gespeichert war, vollsogen, fielen sie nicht einfach so um.
»Ich glaube nicht, dass das der saure Regen ist, von dem DeWalt mir die
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