Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ernte

Die Ernte

Titel: Die Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
Vom Netzwerk:
und dann explodierte alles in einem großen Feuerball.« Roberts Stimme war leer, so als ob er etwas rezitierte, das schon zum x-ten Mal wiederholt wurde.
    »Aber niemand hat mir geglaubt.«
    »Es war auch nur ein Traum.«
    »Aber du weißt, was dann passiert ist?«
    »Dein Vater ist am nächsten Tag in einem Autounfall ums Leben gekommen.«
    Die Tränen versuchten sich zurück zu kämpfen. Sie kämpfte dagegen an und verlor kläglich. »Ich habe noch versucht, ihn zu überreden, zu Hause zu bleiben«, sagte sie und ihre Kehle schien auszutrocknen. »Aber er zog mich nur an einem meiner Zöpfe und sagte, dass alles gut gehen würde. Aber nichts war gut. Er war tot, von Metall und Glasteilchen in Stücke gerissen.«
    »Das war nur Pech. Schicksal. Zufall. Gottes Wille oder was weiß ich. Es hätte genauso gut an jedem anderen Tag passieren können, oder auch niemals.«
    »Und der Traum?«
    »Vorahnung. Du weißt, dass es das gibt. Du bist ja die Psychologin.«
    Tamara hatte das Gefühl, dass er "Psychologin" in einem abfälligen Ton gesagt hatte.
    »Und die anderen Male? Als Kevin sein Bein gebrochen hatte?«
    »Wir können unser Leben nicht nach deinen Träumen richten.«
    Tamara presste ihr Gesicht in den Polster und trocknete ihre Tränen. Sie hatte Angst, dass die Haltegurte, die sie jemals mit Robert verbunden hatten, gerissen waren, dass sie auseinandertrifteten wie zwei verlorene Astronauten, die in ein neblig-graues Nichts schwebten. Sie war alleine, ihrer inneren Stimme ausgeliefert.
    Im Inneren ihres Gehirns kribbelte es, es war ein Juckreiz, gegen den kein Kratzen half. Sie war sich nicht sicher, ob sie eingeschlafen war und einen Alptraum hatte, oder ob das Shu-shaaa wieder mit ihr zu sprechen begonnen hatte. Sie wusste nur, dass sie von einem lauten Geräusch aufgewacht war, einem Schrei, so als ob jemand das Radio plötzlich auf volle Lautstärke gestellt hatte.
    Sie vergrub ihren Kopf in ihrem Polster und versuchte an die Kinder zu denken, an psychologische Theorien, an ihre gescheiterte Ehe, an alles, nur um bloß nicht an die Stimme zu denken, die ihren Schädel zum Zittern brachte.
     

 
    ACHTES KAPITEL
     
    Sylvester stolperte gegen eine Mülltonne, warf sie um und verstreute Abfall auf dem Gehsteig. Ohne Sonnenlicht konnte er sich nicht so schnell bewegen, aber er war wild entschlossen. Er verließ die geteerte Straße und suchte die ruhigere Herrlichkeit des Waldes.
    Die Eichen pochten und klopften, ihre starken Äste strotzten nur so vor Saft. Er wurde eins mit den Eschen und den Pappeln, mit den Walnuss- und Lorbeerbäumen und er schwelgte vor Glück, als Dornen an seinem Fleisch rissen und Brennnesseln nach ihm schlugen. Im Dschungel seines Verstands, dort, wohin das Serotonin sickerte, merkte er, wie er von der Energie seines Erzeugers durchflutet wurde. Er war ein Gefäß, ein Behälter.
    Irgendetwas im Haus bewegte sich. Seine Finger griffen in die Erde und sein totes Herz summte ein Nachtlied. Die Luft hing wie ein dichter Nebel um seinen Kopf. Er versuchte die Verwirrung abzuschütteln, aber die Schwingungen kitzelten und pieksten ihn.
    Tah-mah-raa .
    Geräusch.
    Bedeutet.
    Nichts.
    Er ging am dunklen, ruhigen Haus vorbei, in dem bioenergetische Einheiten schliefen. Er würde sie sich später holen, oder andere Sprösslinge würden nach ihm kommen und das Werk vollbringen.  Alles würde zum Wohle des großen Erzeugers abgeerntet werden. Da spürte er einen inneren Schmerz, ein Verlangen, einen Instinkt, der ihn weiter trieb, genauso wie sich die aufbrechenden Knospen eines Zweiges nach dem Glanz der Sonne sehnten.
    Ein verschwommenes Bild tauchte in seinem Inneren auf, eine schwache Erinnerung. Die Erinnerung wurde zu einem Symbol in der sumpfigen Nitratsuppe seines Gehirns. Der menschliche Rest von Sylvester erkannte das Symbol.
    Er versuchte das Symbol mit seiner faserigen Zunge zu artikulieren:
    Peg-ghiiiii .
     
    ###
     
    Zuerst hatte Chester gedacht, dass es Don Oscar war, der plötzlich aus dem Wald kam, so wie er es öfter machte, wenn ihn der wilde Hafer gestochen hatte und er wie eine Kuh, die zur Fütterung trabte, aus den Schatten des Abends auftauchte. Chester verfolgte mit seinen schon schwachen Augen die Figur von Don Oscar, der über den Zaun kletterte und in den Schweinekoben fiel.
    Er fragte sich, was zum Teufel Don Oscar in dem schwarzen Morast zu suchen hatte. Dann begann plötzlich eine Sau zu quieken und zu schreien, als hätte ihr jemand die Ohren gestutzt. 

Weitere Kostenlose Bücher