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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sie Alexandre anempfehlen, obgleich man in der Familie nicht immer nett zu mir gewesen ist.« Und mit seinem fürchterlichen Lächeln, dem Lächeln eines gebändigten Wolfes, fügte er hinzu: »Es ist für euch alle ein gehöriges Glück, daß ich in Les Tulettes bin.«
    Marthe wurde von einem Zittern befallen. Obwohl sie die Neigung des Onkels zu grimmigen Späßen kannte und die Freude, die er dabei genoß, die Leute, denen er Kaninchen brachte, zu quälen, schien es ihr, als sagte er die Wahrheit, daß sich die ganze Familie dort in diesen grauen Zellenreihen einquartieren würde. Trotz der inständigen Bitten Macquarts, der davon sprach, eine andere Flasche zu entkorken, wollte sie nicht eine Minute länger bleiben.
    »Na schön, und das Hühnchen?« rief er, als sie in den Wagen stieg. Er holte es eilends, er legte es ihr in den Schoß. »Es ist für Mouret, hörst du«, sagte er mehrmals mit boshafter Absicht, »für Mouret, für keinen anderen, nicht wahr? Im übrigen werde ich ihn, wenn ich euch besuche, fragen, wie es ihm geschmeckt hat.«
    Er zwinkerte mit den Augen und sah Olympe dabei an. Der Kutscher wollte gerade mit der Peitsche auf die Pferde einschlagen, als sich Macquart erneut an den Wagen klammerte und weiterredete:
    »Geh zu deinem Vater, sprich mit ihm wegen des Kornfeldes … Sieh doch, es ist das Feld dort vor uns … Rougon hat unrecht. Wir sind zu alte Füchse, um uns gegenseitig zu erzürnen. Das wäre für ihn nur um so schlimmer, er weiß es wohl … Mach ihm begreiflich, daß er unrecht hat.«
    Die Kutsche fuhr an. Als Olympe sich umdrehte, sah sie Macquart, wie er unter seinen Maulbeerbäumen mit Alexandre grinste und jene zweite Flasche entkorkte, von der er gesprochen hatte. Marthe befahl dem Kutscher ausdrücklich, nicht mehr durch Les Tulettes zu fahren. Übrigens wurde sie dieser Spazierfahrten überdrüssig; sie machte sie immer seltener, gab sie gänzlich auf, als sie einsah, daß Abbé Faujas niemals einwilligen würde, sie zu begleiten.
    In Marthe wuchs eine ganz neue Frau heran. Durch das nervöse Leben, das sie führte, wurde ihr Wesen verfeinert. Ihre bürgerliche Schwerfälligkeit, jener durch fünfzehn Jahre Schläfrigkeit hinter einem Ladentisch erworbene drückende Frieden schien in der Flamme ihrer Frömmigkeit dahinzuschmelzen. Sie kleidete sich besser, plauderte donnerstags bei den Rougons.
    »Madame Mouret wird wieder ein junges Mädchen«, sagte Frau de Condamin aufs höchste verwundert.
    »Ja«, murmelte Doktor Porquier kopfschüttelnd, »sie wird mit den Jahren immer jünger.«
    Marthe, die schlanker geworden war, rosige Wangen, prächtige, glühende schwarze Augen hatte, war damals einige Monate lang von eigentümlicher Schönheit. Das Gesicht strahlte; eine ungewöhnliche Überfülle des Lebens ging von ihrem ganzen Sein aus, umhüllte sie mit heißen Schwingungen. Es war, als brenne mit vierzig Jahren ihre vergessene Jugend in ihr mit der Pracht einer Feuersbrunst. Zügellos im Gebet, von einem immerwährenden Bedürfnis mitgerissen, war sie Abbé Faujas ungehorsam. Sie rutschte sich die Knie auf den Steinplatten von SaintSaturnin wund, lebte in den Kirchengesängen, in der Anbetung, fand Linderung im Angesicht der strahlenden Monstranzen, der flammenden Kapellen, der Altäre und Priester, die mit Sternenschimmern auf dem schwarzen Grund des Kirchenschiffes leuchteten. Es war bei ihr eine Art körperlicher Begierde nach jenen Glorien, eine Begierde, die sie marterte, die ihr die Brust aushöhlte, ihr den Schädel leerte, wenn sie sie nicht befriedigte. Sie litt zu sehr, sie lag im Sterben, und sie mußte kommen, die Nahrung ihrer Leidenschaft zu holen, sich in das Getuschel der Beichtstühle kauern, sich unter den mächtigen Schauern der Orgel beugen, im Krampf der Kommunion vergehen. Da fühlte sie nichts mehr, ihr Körper tat nicht mehr weh. Sie lag verzückt am Boden, rang ohne Leiden mit dem Tode, wurde eine reine Flamme, die sich in Liebe verzehrte.
    Abbé Faujas verdoppelte seine Strenge, hielt sie noch im Zaum, indem er sie hart anfuhr. Sie setzte ihn durch dieses leidenschaftliche Erwachen, durch diese Glut, zu lieben und zu sterben, in Erstaunen. Oft befragte er sie wieder nach ihrer Kindheit. Er ging zu Frau Rougon, war einige Zeit ratlos, mit sich unzufrieden.
    »Die Hausbesitzerin beklagt sich über dich«, sagte seine Mutter zu ihm. »Warum läßt du sie nicht zur Kirche gehen, wann ihr das gefällt? – Es ist nicht recht von dir, sie zu hindern;

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