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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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waren besonders heftig. Marthe, deren Vernunft ins Wanken geriet, bildete sich ein, ihr Mann wolle sie schlagen: das wurde zu einer fixen Idee. Sie behauptete, er belauere sie, er warte eine Gelegenheit ab. Er traue sich nicht, sagte sie, weil er sie nie allein antreffe; nachts habe er Angst, daß sie schreie, um Hilfe rufe. Rose schwur, sie habe gesehen, wie der Herr einen großen Stock in seinem Büro versteckte. Frau Faujas und Olympe glaubten diese Geschichten ohne weiteres; sie bedauerten ihre Hauswirtin sehr, sie machten sie sich gegenseitig streitig, stellten sich als ihre Wächterinnen hin. »Dieser Wilde«, wie sie Mouret jetzt nannten, würde sie doch wohl nicht in ihrer Gegenwart mißhandeln. Abends empfahlen sie ihr, sie zu holen, falls er sich rühre. Das Haus lebte nur noch, im Alarmzustand.
    »Er ist zu einem schlimmen Streich fähig«, versicherte die Köchin.
    In diesem Jahr ging Marthe den religiösen Zeremonien der Karwoche mit großer Inbrunst nach. Am Karfreitag rang sie in der schwarzen Kirche mit dem Tode, während die Kerzen unter dem klagenden Gewittersturm der Stimmen, der hinten in der Finsternis des Kirchenschiffes grollte, eine nach der anderen verloschen. Ihr war, als gehe ihr Atem mit diesen Lichtschimmern von hinnen. Als die letzte Kerze erstarb, als die Schattenmauer ihr gegenüber unerbittlich ver schlossen war, wurde sie ohnmächtig, ihr Schoß war beklommen, ihre Brust leer. Eine Stunde lang blieb sie in Gebetshaltung über ihren Stuhl gebeugt, ohne daß die Frauen, die rings um sie knieten, diese Krise gewahr wurden. Als sie wieder zu sich kam, war die Kirche menschenleer. Sie träumte, sie würde mit Ruten geschlagen, das Blut fließe aus ihren Gliedern; sie fühlte im Kopf so unerträgliche Schmerzen, daß sie hinfaßte, um die Dornen herauszureißen, deren Spitzen sie in ihrem Schädel spürte. Abends beim Essen war sie sonderbar. Die Nervenerschütterung hielt an; wenn sie die Augen schloß, sah sie wieder, wie die sterbenden Seelen der Kerzen ins Schwarze entflogen; sie musterte mechanisch ihre Hände, suchte die Löcher, durch die ihr Blut geflossen war. Alle Leiden Christi bluteten in ihr.
    Frau Faujas, die sah, wie sie litt, wollte, daß sie sich zeitig schlafen lege. Sie begleitete sie, brachte sie zu Bett. Mouret, der einen Schlüssel für das Schlafzimmer besaß, hatte sich bereits in sein Büro zurückgezogen, wo er die Abende zu verbringen pflegte. Als Marthe, die die Decken bis zum Kinn hochgezogen hatte, sagte, ihr sei warm, sie fühle sich besser, wollte Frau Faujas die Kerze ausblasen, damit sie ruhig schlafe; aber die Kranke richtete sich verstört auf und flehte:
    »Nein, löschen Sie das Licht nicht aus; stellen Sie es auf die Kommode, damit ich es sehen kann … Ich würde sterben in dieser Finsternis.« Und mit geweiteten Augen, wie bei der Erinnerung an irgendein gräßliches Drama erschauernd, flüsterte sie leiser, mit entsetztem Erbarmen: »Es ist schrecklich, schrecklich!«
    Sie sank auf das Kopfkissen zurück, sie schien einzuschlummern, und Frau Faujas ging sacht aus dem Zimmer.
    An jenem Abend war im Hause um zehn Uhr alles im Bett. Rose bemerkte beim Hinaufgehen, daß Mouret noch in seinem Büro war. Sie guckte durch das Schlüsselloch, und sie sah, daß er am Tisch neben einem Küchenlicht, dessen düsterer Docht blakte, eingeschlafen war.
    »Meiner Treu, da ist eben nichts zu machen! Ich wecke ihn nicht«, sagte sie und ging weiter die Treppe hoch. »Soll er einen steifen Hals kriegen, wenn ihm das Spaß macht.«
    Um Mitternacht lag das Haus in tiefem Schlaf; da waren aus dem ersten Stock Schreie zu hören. Zuerst waren es dumpfe Klagen, die bald zu wahrem Gebrüll wurden, erstickte und heisere Rufe eines Opfers, das abgeschlachtet wird. Abbé Faujas, der aus dem Schlaf hochgefahren war, rief seine Mutter. Diese nahm sich kaum die Zeit, einen Unterrock überzustreifen. Sie klopfte an Roses Tür und sagte: »Kommen Sie schnell herunter; ich glaube, Madame Mouret wird ermordet.«
    Unterdessen wurden die Schreie noch lauter. Bald war das ganze Haus auf den Beinen. Die Schultern von einem einfachen Halstuch bedeckt, zeigte sich Olympe, und hinter ihr kam Trouche, der eben erst leicht benebelt heimkehrte. Rose ging die Treppe hinunter, und die anderen Mieter folgten ihr.
    »Machen Sie auf, machen Sie auf, Madame!« schrie sie kopflos und schlug mit der Faust gegen die Tür.
    Schwere Seufzer waren die einzige Antwort; dann fiel ein Körper hin, ein

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