Die Eroberung von Plassans - 4
einem Dienstag gingen sie hinauf. An diesem Tag waren die beiden Gesellschaften sehr laut; Gelächter drang durch die offenstehenden Fenster in das Haus hoch, während ein Lieferant, der den Trouches einen Korb Wein brachte, im zweiten Stock beim Einpacken der leeren Flaschen einen Lärm vollführte, als werde Geschirr zerschlagen. Mouret hatte sich in sein Büro doppelt eingeschlossen.
»Der Schlüssel hindert mich daran, durchzugucken«, sagte Rose, nachdem sie ein Auge an das Schlüsselloch gedrückt hatte.
»Warten Sie«, flüsterte Frau Faujas. Behutsam drehte sie den Schlüsselbart herum, der ein bißchen vorstand.
Mouret saß mitten im Zimmer vor dem großen, leeren Tisch, der von einer dicken Staubschicht bedeckt war und auf dem nicht ein Buch, nicht ein Blatt Papier lag; mit schlaff herabhängenden Armen, weißem und starrem Kopf und verlorenem Blick lehnte er sich an die Stuhllehne zurück. Er rührte sich nicht.
Schweigend musterten ihn die beiden Frauen, eine nach der anderen.
»Mich hat dabei in Mark und Bein gefroren«, sagte Rose, als sie wieder hinuntergingen. »Sind Ihnen seine Augen aufgefallen? Und was für ein Schmutz! Seit gut zwei Monaten hat er keine Feder auf den Schreibtisch gelegt Ich, ich bildete mir ein, er schrieb dort drin! – Wenn man bedenkt, daß es im Haus so fröhlich zugeht und er seinen Spaß daran hat, sich als einziger totzustellen!«
Kapitel XVII
Marthes Gesundheitszustand bereitete Doktor Porquier Besorgnis. Er wahrte sein leutseliges Lächeln, behandelte sie als Arzt der vornehmen Gesellschaft, für den die Krankheit niemals vorhanden war und der eine Konsultation gewährte, wie eine Schneiderin ein Kleid anprobiert; aber eine gewisse Falte um seine Lippen besagte, daß »die liebe Madame« nicht nur einen leichten Bluthusten hatte, wie er es ihr einredete. Er riet ihr, sich an schönen Tagen Abwechslung zu verschaffen, Spazierfahrten zu unternehmen, ohne sich jedoch zu überanstrengen. Da veranstaltete Marthe, die mehr und mehr von einer unbestimmten Angst erfaßt wurde, von einem Bedürfnis, ihre nervöse Ungeduld zu beschäftigen, Spazierfahrten in die benachbarten Dörfer. Zweimal in der Woche brach sie nach dem Mittagessen in einer alten, frisch gestrichenen Kutsche auf, die ihr ein Stellmacher in Plassans lieh; sie fuhr zwei oder drei Meilen weit, so daß sie gegen sechs Uhr wieder zurück war. Sie hing dem Traum nach, Abbé Faujas mitzunehmen; sie hatte sogar nur in dieser Hoffnung eingewilligt, die Anordnung des Arztes zu befolgen; aber ohne rundweg abzulehnen, erklärte der Abbé stets, er sei zu stark beschäftigt. Sie mußte sich mit Olympes oder Frau Faujas˜ Gesellschaft begnügen.
Als sie eines Nachmittags mit Olympe in dem Dorf Les Tulettes an Onkel Macquarts Anwesen entlangfuhr, erblickte sie dieser und rief ihr von seiner mit zwei Maulbeerbäumen bepflanzten Terrasse aus zu:
»Und Mouret? Warum ist Mouret nicht gekommen?«
Sie mußte einen Augenblick bei dem Onkel anhalten, dem lang und breit erklärt werden mußte, daß sie leidend sei und nicht mit ihm zu Abend essen könne. Er wollte unbedingt ein Hühnchen schlachten.
»Das macht nichts«, sagte er schließlich. »Ich werde es trotzdem schlachten. Du kannst es mitnehmen.« Und er ging, um es sofort zu schlachten. Als er das Hühnchen gebracht hatte, legte er es auf den Steintisch vor dem Haus und murmelte mit entzückter Miene: »Na? Ist das nicht fett, das Kerlchen da?«
Der Onkel war gerade im Begriff, in Gesellschaft eines großen, hageren, ganz in Grau gekleideten Burschen unter seinen Maulbeerbäumen eine Flasche Wein zu trinken. Er hatte die beiden Frauen bewogen, sich zu setzen, brachte Stühle herbei, hieß die Gäste mit zufriedenem Grinsen bei sich willkommen.
»Es geht mir gut hier, nicht wahr? – Meine Maulbeerbäume sind wunderschön. Im Sommer rauche ich meine Pfeife in der frischen Luft. Im Winter setze ich mich da drüben an die Mauer in die Sonne … Siehst du mein Gemüse? Der Hühnerstall ist hinten. Ich habe noch ein Stück Land hinter dem Haus, wo Kartoffeln und Luzerne stehen … Ach freilich, ich werde alt; es ist wohl an der Zeit, daß ich es mir ein bißchen gut gehen lasse.« Er rieb sich die Hände, rollte den Kopf gemächlich hin und her, betrachtete sein Besitztum mit gerührtem Blick. Aber ein Gedanke schien ihn düster zu stimmen. »Ist es lange her, seit du deinen Vater gesehen hast?« fragte er plötzlich. »Rougon ist nicht nett … Das Kornfeld da
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