Die Eroberung von Plassans - 4
der die Stadt beschäftigte, einige Zeit nichts zu wissen. Sie behielt ihr Lächeln bei, vermied es, die Anspielungen zu verstehen, die in ihrer Gegenwart gemacht wurden. Aber eines Tages erschien sie nach einem langen Besuch, den ihr Herr Delangre abgestattet hatte, mit verstörter Miene und mit Tränen in den Augen bei ihrer Tochter.
»Ah! Mein liebes Kind«, sagte sie und schloß Marthe in die Arme. »Was hat man mir berichtet? Dein Mann würde sich so weit vergessen, die Hand gegen dich zu erheben! – Das sind Lügen, nicht wahr? – Ich habe es ausdrücklich bestritten. Ich kenne Mouret. Er ist schlecht erzogen, aber er ist nicht bösartig.«
Marthe errötete; sie überkam jene Verwirrung, jene Scham, die sie jedesmal empfand, wenn man in ihrer Gegen wart dieses Thema anschnitt.
»Das sage ich Ihnen, Madame wird sich nie beklagen!« rief Rose mit ihrer üblichen Dreistigkeit. »Ich wäre schon lange gekommen, um Ihnen Bescheid zu geben, wenn ich nicht Angst gehabt hätte, daß Madame mit mir schimpft.«
Die alte Dame ließ ihre Hände mit einer Gebärde unendlicher und schmerzlicher Überraschung sinken.
»Es ist also wahr?« murmelte sie. »Er schlägt dich? – Oh! Der Unglückselige!« Sie fing an zu weinen. »Muß ich so alt geworden sein, um derartige Dinge zu erleben! – Ein Mann, den wir beim Tod seines Vaters, als er nur ein kleiner Angestellter bei uns war, mit Wohltaten überhäuft haben! – Mein Mann hat eure Heirat gewollt. Ich sagte ihm allerdings, Mouret hat einen falschen Blick. Übrigens hat er sich uns gegenüber nie gut aufgeführt; er hat sich nur nach Plassans zurückgezogen, um uns mit den paar Sous zu verhöhnen, die er zusammengebracht hatte. Gott sei Dank! Wir brauchten ihn nicht, wir waren reicher als er, und das hat ihn gehörig verdrossen. Er hat einen kleinlichen Geist; er ist so neidisch, daß er sich stets wie ein Trampel gesträubt hat, die Füße in meinen Salon zu setzen; er wäre dort vor Neid geplatzt … Aber ich werde dich nicht bei einem solchen Ungeheuer lassen, meine Tochter. Glücklicherweise gibt es Gesetze.«
»Beruhigen Sie sich; es wird sehr übertrieben, versichere ich Ihnen«, murmelte Marthe, die immer verlegener geworden war.
»Sie werden sehen, daß sie ihn noch in Schutz nimmt!« sagte die Köchin.
In diesem Augenblick traten Abbé Faujas und Trouche herzu, die hinten im Garten eine wichtige Besprechung führten und durch den Lärm herbeigelockt wurden.
»Herr Pfarrer, ich bin eine sehr unglückliche Mutter«, begann Frau Rougon und jammerte noch lauter. »Ich habe nur eine Tochter bei mir, und ich erfahre, daß sie nicht genug Augen hat zu weinen … Ich flehe Sie an, da Sie bei ihr leben, trösten Sie sie, beschützen Sie sie.«
Der Abbé sah sie an, wie um den Ausdruck dieses plötzlichen Schmerzes zu ergründen.
»Ich habe eben jemand gesehen, den ich nicht nennen will«, fuhr sie fort und heftete ihrerseits den Blick starr auf den Priester. »Dieser jemand hat mir einen Schreck eingejagt … Gott weiß, ob ich meinen Schwiegersohn zu vernichten suche! Aber ich habe die Pflicht, die Interessen meiner Tochter zu verteidigen, nicht wahr? – Nun wohl, mein Schwiegersohn ist ein Unglücksmensch; er mißhandelt seine Frau, er erregt in der ganzen Stadt Ärgernis, er ist an allen schmutzigen Angelegenheiten beteiligt. Sie werden sehen, daß er sich in der Politik noch Unannehmlichkeiten aussetzen wird, wenn die Wahlen heranrücken. Das letzte Mal war er es, der das Lumpenvolk der Vorstädte anführte … Es wird mein Tod sein, Herr Pfarrer.«
»Herr Mouret würde es nicht gestatten, daß man ihm Vorhaltungen macht«, wagte der Abbé zu bemerken.
»Ich kann meine Tochter doch nicht einem solchen Mann preisgeben«, rief Frau Rougon. »Ich lasse nicht zu, daß man uns entehrt … Das Recht ist nicht für die Katz geschaffen.«
Trouche wiegte sich lässig in den Hüften. Er machte sich ein kurzes Schweigen zunutze.
»Herr Mouret ist verrückt«, erklärte er roh.
Das Wort fiel wie ein Keulenschlag, alle blickten sich an.
»Ich will sagen, er ist im Kopf nicht ganz richtig«, fuhr Trouche fort. »Sie brauchen sich nur seine Augen genau anzusehen … Ich gestehe Ihnen, daß ich nicht ohne Sorge bin. In Besançon gab es einen Mann, der seine Tochter anbetete und sie eines Nachts ermordet hat, ohne zu wissen, was er tat.«
»Bei Herrn Mouret stimmt˜s schon eine ganze Zeit nicht mehr«, murmelte Rose.
»Aber das ist ja entsetzlich!« sagte Frau
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