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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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noch in der Angst vor irgendeinem Verbrechen; beim geringsten Geräusch waren die Mieter vom zweiten Stock auf den Beinen. Marthe wich Anspielungen noch immer aus; sie wollte durchaus nicht, daß Rose für Mouret im Büro ein Gurtbett aufschlug. Wenn der Tag heraufzog, war es, als tilge er sogar die Erinnerung an das nächtliche Drama.
    Unterdessen verbreitete sich im Viertel nach und nach das Gerücht, bei den Mourets geschähen seltsame Dinge. Es wurde erzählt, der Mann schlage die Frau allnächtlich mit Knüppelhieben halbtot. Rose hatte Frau Faujas und Olympe schwören lassen, daß sie nichts sagten, weil ihre Herrin anscheinend schweigen wollte; aber durch ihr Bemitleiden, durch ihre Anspielungen und durch das, was sie nicht aussprach, hatte sie selber dazu beigetragen, daß bei den Lieferanten das Gerede entstand, das nun im Umlauf war. Der Fleischer, ein Spaßvogel, behauptete, Mouret prügele seine Frau, weil er sie beim Pfarrer angetroffen habe; aber die Obsthändlerin nahm »die arme Frau« in Schutz, die ein wahres Unschuldslamm sei und nicht imstande, sich dem Schlechten zuzuwenden, während die Bäckerin in Mouret »einen jener Männer« sah, »die ihre Frauen zum Vergnügen mißhandeln«. Auf dem Markt wurde von Marthe nur mit zum Himmel erhobenen Augen und mit jenen Koseworten gesprochen, die man kranken Kindern sagt. Wenn Olympe ein Pfund Kirschen oder einen Topf Erdbeeren kaufte, stürzte sich die Unterhaltung unvermeidlicherweise auf die Mourets. Eine Viertelstunde lang strömte eine Flut rührseliger Worte:
    »Na! Und wie geht˜s bei Ihnen?«
    »Sprechen Sie mir nicht davon. Sie weint sich die Augen aus … Das ist zum Gotterbarmen. Man möchte sie am liebsten tot wissen.«
    »Neulich hat sie Artischocken bei mir gekauft; eine Wange war ihr aufgerissen.«
    »Bei Gott! Er richtet sie übel zu … Und wenn Sie ihren Körper sehen würden, wie ich ihn gesehen habe! – Er ist nur noch eine einzige Wunde … Wenn sie am Boden liegt, versetzt er ihr Hiebe mit dem Absatz. Ich habe immer Angst, daß wir sie nachts, wenn wir hinuntergehen, einmal mit zerschmettertem Kopf vorfinden.«
    »Das muß für Sie keinen Spaß machen, in diesem Haus zu bleiben. Ich würde ausziehen; ich würde krank werden, wenn ich alle Nächte solchen Greueln beiwohnen müßte.«
    »Und was sollte aus dieser Unglücklichen werden? Sie ist so vornehm, so sanft! Wir bleiben ihretwegen … Das Pfund Kirschen macht fünf Sous, nicht wahr?«
    »Ja, fünf Sous … Gleichviel, Sie haben Standhaftigkeit, Sie sind eine gute Seele.«
    Diese Geschichte von einem Ehemann, der die Mitternacht abwartete, um mit einem Stock über seine Frau herzufallen, war vor allem geeignet, die Klatschweiber vom Markt in Leidenschaft zu versetzen. Entsetzliche Einzelheiten ließen die Geschichte von Tag zu Tag anwachsen. Eine Betschwester versicherte, Mouret sei besessen, er packe seine Frau mit den Zähnen so derb am Hals, daß Abbé Faujas mit dem linken Daumen drei Kreuze in die Luft machen müsse, um ihn zu zwingen, die Beute fahrenzulassen. Dann falle Mouret wie ein Klotz auf die Fliesen, fügte sie hinzu, und eine große, schwarze Ratte springe aus seinem Mund und verschwinde, ohne daß man je das geringste Loch im Fußboden entdecken könne. Der Kaldaunenhändler von der Ecke der Rue Taravelle versetzte das Viertel in Schrecken, indem er die Meinung äußerte, »dieser Schuft sei vielleicht von einem tollwütigen Hund gebissen worden«.
    Aber unter den anständigen Leuten von Plassans fand die Geschichte nicht überall Glauben. Als sie auf den Cours Sauvaire gelangte, belustigte sie die kleinen Rentiers sehr, die in der lauen Maisonne in einer Reihe auf den Bänken saßen.
    »Mouret ist nicht imstande, seine Frau zu schlagen«, sagten die Mandelhändler, die sich zur Ruhe gesetzt hatten. »Es sieht aus, als ob er was mit der Peitsche bekommen hätte, er macht nicht einmal mehr seinen Spaziergang … Seine Frau muß ihn wohl auf trocken Brot gesetzt haben.«
    »Man kann nicht wissen«, erwiderte ein Hauptmann a.D. »Ich habe einen Offizier meines Regiments gekannt, den seine Frau wegen eines Ja, wegen eines Nein ohrfeigte. Das ging seit zehn Jahren so. Eines Tages ließ sie es sich einfallen, ihm Fußtritte zu versetzen; er wurde rasend und hätte sie beinahe erwürgt … Vielleicht hat Mouret Fußtritte auch nicht gern.«
    »Noch weniger gern hat er offenbar die Pfarrer«, schloß eine Stimme höhnisch kichernd.
    Frau Rougon schien von dem Skandal,

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