Die Eroberung von Plassans - 4
Herr de Condamin. »Er wiederholt überall, er gebiete über die Abstimmung, er werde einen Schuster wählen lassen, wenn ihm das gefalle.«
»Sie übertreiben«, sagte Doktor Porquier. »Er hat nicht mehr soviel Einfluß, die ganze Stadt macht sich über ihn lustig.«
»Ah, das täuscht Sie! Wenn er will, führt er die ganze Altstadt und eine große Zahl der Dörfer an die Wahlurnen … Er ist verrückt, das stimmt, aber das ist eine Empfehlung … Für einen Republikaner finde ich ihn noch sehr vernünftig.«
Dieser mittelmäßige Scherz erhielt lebhaften Beifall. Selbst die beiden Fräulein Rastoil lachten leise wie Pensionatstöchter.
Der Präsident wollte zustimmend mit dem Kopf nicken; er ging aus seiner Gesetztheit heraus, und während er vermied, den Unterpräfekt anzublicken, sagte er:
»Lagrifoul hat uns vielleicht nicht die Dienste erwiesen, die zu erwarten wir berechtigt waren; aber ein Schuster, das wäre für Plassans wahrhaftig eine Schande!« Und um gleichsam jede Erwiderung auf die Erklärung, die er eben abgegeben hatte, abzuschneiden, fügte er rasch hinzu: »Es ist halb zwei; das ist ja ein ausschweifendes Leben… Herr Unterpräfekt, unseren besten Dank!«
Frau de Condamin fand, während sie sich einen Schal über die Schultern warf, die Möglichkeit zu einer Schlußbemerkung.
»Kurz und gut«, sagte sie, »man kann nicht zulassen, daß einer die Wahlen leitet, der sich nach Mitternacht mitten in seinem Salat niederkniet.«
Diese Nacht wurde geradezu legendär. Herr de Condamin hatte gewonnenes Spiel, als er die Begebenheit Herrn de Bourdeu, Herrn Maffre und den Abbés erzählte, die den Nachbarn nicht mit einer Kerze gesehen hatten. Drei Tage später schwur das ganze Viertel, daß es den Irren, der seine Frau schlug, erblickt habe, wie er, den Kopf mit einem Bettuch verhüllt, spazierengehe. Bei den Nachmittagszusammenkünften unter dem Laubengang beschäftigte man sich vor allem mit der möglichen Kandidatur von Mourets Schuster. Man lachte, während man sich untereinander genau beobachtete. Das war eine Art, sich politisch abzutasten. Herr de Bourdeu glaubte aus gewissen vertraulichen Mitteilungen seines Freundes, des Präsidenten, zu verstehen, daß zwischen der Unterpräfektur und der gemäßigten Opposition ein stillschweigendes Einverständnis auf seinen Namen zustande kommen könnte, um die Republikaner schmählich zu schlagen. Daher zeigte er sich gegen Marquis de Lagrifoul, dessen geringste Schnitzer in der Abgeordnetenkammer er peinlich genau aufgriff, immer sarkastischer. Herr Delangre, der nur dann und wann kam, wobei er sich auf die Sorgen seiner Stadtverwaltung berief, lächelte klug bei jeder neuen Spöttelei des ehemaligen Präfekten.
»Sie brauchen den Marquis nur noch zu bestatten, Herr Pfarrer«, sagte er Abbé Faujas eines Tages ins Ohr.
Frau de Condamin, die es hörte, wandte den Kopf, legte einen Finger auf die Lippen, wobei sie den Mund zu einem Ausdruck köstlicher Schalkhaftigkeit verzog.
Abbé Faujas ließ jetzt zu, daß in seiner Gegenwart von Politik gesprochen wurde. Manchmal gab er sogar eine Meinung kund, war für die Vereinigung der ehrbar und religiös Gesinnten. Da überboten sich alle, Herr Péqueur des Saulaies, Herr Rastoil, Herr de Bourdeu, sogar Herr Maffre. Es müsse unter rechtschaffenen Leuten so leicht sein, sich zu verständigen, gemeinsam an der Festigung der erhabenen Grundsätze zu arbeiten, ohne die keine Gesellschaft bestehen könne! Und das Gespräch wandte sich dem Eigentum, der Familie, der Religion zu. Zuweilen kehrte der Name Mouret wieder, und Herr de Condamin murmelte:
»Nur mit Zittern lasse ich meine Frau hierherkommen. Ich habe Angst, das ist nun mal so! Sie werden bei den Wahlen schrullige Dinge erleben, wenn er frei ist!«
Unterdessen trachtete Trouche jeden Morgen danach, Abbé Faujas in den Unterredungen, die er regelmäßig mit ihm hatte, Schrecken einzujagen. Er teilte ihm die alarmierendsten Neuigkeiten mit; die Arbeiter der Altstadt beschäftigten sich viel zu sehr mit dem Haus Mouret; sie sprächen davon, den guten Mann zu besuchen, sich ein Urteil über seinen Zustand zu bilden, seine Meinung einzuholen.
Der Priester zuckte meist die Achseln.
Aber eines Tages sah Trouche ganz entzückt aus, als er von ihm wegging. Er küßte Olympe und rief:
»Diesmal, mein Kind, ist es geschafft.«
»Erlaubt er dir zu handeln?« fragte sie.
»Ja, er läßt mir völlig freie Hand … Wir werden schön sorglos leben, wenn der
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