Die Eroberung von Plassans - 4
Benommensein versunken, die Blicke auf die Lampe gerichtet. Sie rüttelte sie, veranlaßte sie, hinaufzugehen und sich ins Bett zu legen. Marthe war sehr furchtsam geworden. Nachts, sagte sie, sehe sie große Lichtflecke an den Wänden ihres Zimmers, höre sie heftige Schläge am Kopfende ihres Bettes. Rose schlief nun nebenan in einer Kammer, von wo aus sie beim geringsten Stöhnen herbeieilte, um sie zu beruhigen. In jener Nacht war Rose noch beim Ausziehen, als sie Marthe röcheln hörte; sie fand sie inmitten der losgerissenen Decken, die Augen von einem stummen Schrecken geweitet, die Fäuste auf den Mund gepreßt, um nicht zu schreien. Sie mußte zu ihr wie zu einem Kind sprechen, mußte die Vorhänge wegziehen, unter die Möbel gucken, ihr schwören, daß sie sich getäuscht habe, daß niemand da sei. Diese Angstzustände endeten mit Starrsuchtanfällen, die sie wie tot daliegen ließen mit dem Kopf auf den Kissen und hochgeklappten Augenlidern.
»Herr Mouret, der macht ihr zu schaffen«, murmelte die Köchin, als sie sich endlich ins Bett legte.
Am nächsten Tag machte Doktor Porquier seinen üblichen Krankenbesuch. Er kam regelmäßig zweimal in der Woche zu Frau Mouret. Er tätschelte ihr die Hände, sagte immer wieder mit seinem liebenswürdigen Optimismus zu ihr:
»Na, na, liebe gnädige Frau, es wird nichts sein … Sie husten immer noch ein bißchen, nicht wahr? Eine einfache vernachlässigte Erkältung, die wir mit Sirup heilen werden.«
Dann klagte sie, ohne einen Blick von ihm zu wenden, über unerträgliche Schmerzen im Rücken und in der Brust und suchte auf seinem Gesicht, auf seiner ganzen Person das zu lesen, was er nicht sagte.
»Ich habe Angst, verrückt zu werden!« entfuhr es ihr in einem Schluchzen.
Er beruhigte sie lächelnd.
Der Anblick des Doktors verursachte ihr wie immer eine heftige Beklemmung; sie empfand ein Entsetzen vor diesem so höflichen und so sanften Mann. Oft verbot sie Rose, ihn eintreten zu lassen, und sagte, sie sei nicht krank, sie habe es nicht nötig, ständig einen Arzt bei sich zu sehen. Rose zuckte die Achseln, führte den Doktor trotzdem hinein. Im übrigen sprach er mit ihr schließlich nicht mehr über ihre Krankheit, er schien ihr einfache Höflichkeitsbesuche abzustatten.
Als er herauskam, begegnete er Abbé Faujas, der sich zur Kirche SaintSaturnin begab. Der Priester fragte ihn nach Frau Mourets Befinden.
»Die Wissenschaft ist mitunter ohnmächtig«, antwortete er ernst, »aber die Vorsehung bleibt unerschöpflich in ihrer Güte … Die arme Frau ist gehörig erschüttert worden. Ich gebe sie nicht unbedingt auf. Die Lunge ist nur erst schwach angegriffen, und das Klima hier ist gut.« Dann begann er einen gelehrten Vortrag über die Behandlung der Lungenkrankheiten im Arrondissement Plassans. Er arbeitete eine Broschüre über dieses Thema aus, nicht um sie zu veröffentlichen, denn er war so geschickt, gar kein Gelehrter sein zu wollen, sondern um sie einigen vertrauten Freunden vorzulesen. »Und das sind die Gründe«, sagte er abschließend, »die mich glauben lassen, daß die gleichmäßige Temperatur, die aromatische Flora, die gesunden Gewässer unserer Hügel von unbedingter Vortrefflichkeit für die Heilung von Lungenleiden sind.«
Der Priester hatte ihm mit seiner strengen und verschlossenen Miene zugehört.
»Sie haben unrecht«, erwiderte er langsam. »Für Madame Mouret ist Plassans ganz und gar nicht angebracht … Warum schicken Sie sie nicht fort, daß sie den Winter in Nizza verbringt?«
»In Nizza!« wiederholte der Doktor unruhig. Er sah den Priester einen Augenblick an; dann sagte er mit seiner nachgiebigen Stimme: »Sie wäre in Nizza tatsächlich sehr gut aufgehoben. In dem Zustand nervöser Überreizung, in dem sie sich befindet, wurde ein Ortswechsel gute Ergebnisse haben. Ich muß ihr zu dieser Reise raten … Sie haben da einen ausgezeichneten Einfall gehabt, Herr Pfarrer.«
Er grüßte, ging zu Frau de Condamin hinein, deren unbedeutendste Migränen ihm außerordentliche Sorgen bereiteten.
Am nächsten Tag sprach Marthe beim Abendessen in beinahe heftigen Ausdrucken von dem Doktor. Sie schwur, sie werde ihn nicht mehr empfangen.
»Er selber macht mich krank«, sagte sie. »Ist er nicht heute nachmittag gekommen, um mir zu einer Reise zu raten?«
»Und ich heiße das nachdrücklich gut«, erklärte Abbé Faujas, der seine Serviette zusammenfaltete.
Sie starrte ihn an, war sehr bleich und flüsterte mit leiser
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