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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4
Autoren: Émile Zola
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gezwungen sind, die Nacht hier zu verbringen, werden Sie einen Bissen mit mir essen.«
    Er nahm den Wärter mit. Nach Verlauf einer halben Stunde war er noch nicht zurück. Die Köchin, die sich langweilte, allein zu sein, öffnete die Tür, beugte sich über die Terrasse, schaute auf die leere Landstraße, in die klare Nacht. Als sie wieder hineinging, glaubte sie auf der anderen Seite des Weges zwei schwarze Schatten wahrzunehmen, die hinter einer Hecke mitten auf einem Fußsteig hingepflanzt standen.
    Man möchte meinen, das ist der Onkel, dachte sie. Es sieht so aus, als ob er mit einem Priester redet.
    Ein paar Minuten später kam der Onkel. Er sagte, dieser Teufelskerl, der Alexandre, habe ihm Geschichten erzahlt und kein Ende mehr gefunden.
    »Sind Sie das nicht gewesen, der da vorhin mit einem Priester gestanden hat?« fragte Rose.
    »Ich mit einem Priester!« rief er. »Zum Teufel, wo haben Sie das geträumt? Es gibt keinen Priester in der Gegend.« Er rollte seine kleinen, feurigen Augen. Dann schien er mit seiner Lüge unzufrieden zu sein, er fuhr fort: »Abbé Fenil wohnt hier, aber das ist genauso, als ob er nicht hier wäre; er geht niemals aus.«
    »Mit Abbé Fenil ist nicht viel los«, sagte die Köchin.
    Da wurde der Onkel böse.
    »Warum ist mit dem denn nicht viel los? Er tut hier viel Gutes; er ist sehr tüchtig der Kerl … Er ist mehr wert als ein Haufen Priester, die Scherereien machen.« Aber sein Zorn legte sich mit einem Schlag. Er begann zu lachen, als er sah, daß Rose ihn mit bestürzter Miene ansah.
    »Schließlich pfeife ich drauf«, murmelte er. »Sie haben recht, alle diese Pfarrer sind sich gleich, das ist scheinheiliges Pack … Ich weiß jetzt, mit wem Sie mich gesehen haben können. Ich bin der Krämerin begegnet; sie hatte ein schwarzes Kleid an, Sie werden das für eine Soutane gehalten haben.«
    Rose buk einen Eierkuchen, der Onkel legte ein Stück Käse auf den Tisch. Sie hatten noch nicht zu Ende gegessen, als sich Marthe im Bett aufsetzte und verwundert dreinschaute wie jemand, der an einem unbekannten Ort erwacht. Als sie ihre Haare beiseite gestrichen hatte und ihr die Erinnerung wiederkehrte, sprang sie aus dem Bett und sagte, daß sie aufbrechen wolle, sofort aufbrechen wolle.
    Macquart schien über dieses Erwachen sehr verärgert zu sein.
    »Das ist unmöglich, du kannst heute abend nicht nach Plassans zurückfahren«, sagte er. »Du klapperst vor Fieber mit den Zahnen, du wirst unterwegs krank werden. Ruh dich aus. Morgen werden wir weitersehen … Vor allem gibt es keinen Wagen.«
    »Sie werden mich in Ihrem Einspanner hinfahren«, antwortete sie.
    »Nein, ich will nicht, ich kann nicht.«
    Marthe, die sich in fieberhafter Hast ankleidete, erklärte, daß sie lieber zu Fuß nach Plassans gehen wolle als die Nacht in Les Tulettes verbringen.
    Der Onkel ging mit sich zu Rate; er hatte die Tür abgeschlossen und den Schlüssel heimlich in seine Tasche gesteckt. Er bat seine Nichte inständig, drohte ihr, erfand Geschichten, während sie schon ihren Hut aufsetzte, ohne ihn anzuhören.
    »Wenn Sie glauben, daß Sie sie zum Nachgeben bringen!« sagte Rose, die seelenruhig ihr Stück Käse aufaß. »Sie würde lieber zum Fenster hinaussteigen. Spannen Sie Ihr Pferd an, das ist besser.«
    Nach kurzem Schweigen zuckte der Onkel die Achseln und rief zornig: »Na gut, mir ist das gleich! Soll sie sich was wegholen, wenn ihr daran liegt! Ich wollte ein Unglück vermeiden … Mag das ausgehen, wie es will. Es geschieht immer nur das, was geschehen soll, ich werde sie hinfahren.«
    Marthe mußte in den Einspänner getragen werden; ein heftiges Fieber schüttelte sie. Der Onkel warf ihr einen alten Mantel über die Schultern. En schnalzte leise mit der Zunge, und man fuhr ab.
    »Mir macht es keine Mühe«, sagte er, »heute abend nach Plassans zu fahren, im Gegenteil! – In Plassans hat man seinen Spaß.«
    Es war etwa zehn Uhr. Der regenschwangere Himmel hatte einen rötlichen Schein, der den Weg schwach erhellte. Die ganze Landstraße entlang beugte sich Macquart vor, blickte in die Chausseegräben, hinter die Hecken. Als Rose ihn fragte, was er denn suche, antwortete er, daß Wölfe aus den Schluchten der Seille heruntergekommen seien. Er hatte seine gute Laune wiedergefunden. Eine Meile vor Plassans setzte der Regen ein, ein dichter und kalter Platzregen. Da fluchte der Onkel. Rose hätte ihre Herrin, die unter dem Mantel mit dem Tode rang, schlagen mögen. Als sie endlich
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