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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4
Autoren: Émile Zola
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sich ein, er komme von einem Weinbauern, bei dem er fünfzig Krüge Wein gekauft hatte. Als er an eine Kreuzung gelangte, wo sich fünf Landstraßen kreuzten, erkannte er die Gegend wieder. Er fing an zu lachen und sagte:
    »Wie dumm ich bin! Ich wäre beinahe auf die Hochfläche nach SaintEutrope hinaufgegangen; ich muß mich nach links wenden … In gut anderthalb Stunden werde ich in Plassans sein.«
    Nun folgte er munter der Überlandstraße und schaute jeden Kilometerstein wie einen alten Bekannten an. Er blieb mit interessierter Miene vor manchen Feldern, vor manchen Landhäusern stehen. Der Himmel war aschfarben mit großen schmutzigrosa Streifen, die die Nacht mit dem bleichen Widerschein einer sterbenden Glut erhellten. Schwere Tropfen begannen zu fallen; der Wind wehte regendurchnäßt von Osten.
    »Zum Teufel! Ich darf mich nicht aufhalten«, sagte Mouret und musterte besorgt den Himmel. »Der Wind kommt von Osten, es wird ein hübscher Guß herunterkommen! Nie und nimmer bin ich vor dem Regen in Plassans. Obendrein habe ich wenig an.«
    Und er zog die Jacke aus grober grauer Wolle, die er in Les Tulettes in Fetzen gerissen hatte, über der Brust zusammen. Er hatte an der Wange eine tiefe Verletzung, an die er die Hand legte, ohne sich über den lebhaften Schmerz richtig klarzuwerden, den er dort empfand. Die Überlandstraße blieb menschenleer; er begegnete nur einem zweirädrigen Wagen, der langsam eine Steigung hinunterfuhr. Der Fuhrmann schlief und antwortete nicht auf das freundschaftliche Guten Abend, das Mouret ihm zuwarf. An der Brücke über die Viorne überraschte ihn der Regen. Da ihm der Regen sehr unangenehm war, ging er hinab unter die Brücke, um sich unterzustellen, und schalt dabei, das sei nicht auszuhalten, nichts richte die Kleidung so zugrunde wie so was, wenn er das gewußt hätte, würde er einen Regenschirm mitgenommen haben. Er geduldete sich eine gute halbe Stunde, hatte seinen Spaß daran, dem Rieseln des Wassers zu lauschen; als der Platzregen vorüber war, ging er wieder zur Landstraße hoch und kam endlich nach Plassans. Mit äußerster Sorgfalt umging er die Schmutzpfützen.
    Es war jetzt annähernd Mitternacht. Mouret rechnete sich aus, daß es wohl noch nicht acht Uhr geschlagen habe. Er schritt durch die leeren Straßen und war ganz bekümmert, daß er seine Frau so lange hatte warten lassen.
    Sie wird nicht mehr wissen, was das bedeuten soll, dachte er. Das Abendessen wird kalt sein … O ja, Rose wird mich nett empfangen!
    Er war in der Rue Balande angekommen; er stand vor seiner Tür.
    »Ach je!« sagte er. »Ich habe meinen Hauptschlüssel nicht.«
    Er klopfte jedoch nicht. Das Küchenfenster blieb finster, die anderen Fenster der Hausfront schienen gleichfalls erstorben. Ein großes Mißtrauen bemächtigte sich des Irren; mit tierischem Instinkt witterte er eine Gefahr. Er wich in den Schatten der Nachbarhäuser zurück, musterte abermals die Fassade: dann schien er einen Entschluß zu fassen, machte den Umweg durch die ChevilottesSackgasse. Aber die kleine Gartenpforte war verriegelt. Da warf er sich mit erstaunlicher Kraft, von einer jähen Wut fortgerissen, gegen diese von der Feuchtigkeit zernagte Pforte, die in zwei Stücke zerbarst. Die Heftigkeit des Stoßes ließ ihn verdutzt stehenbleiben; er wußte nicht mehr, warum er eben die Pforte eingeschlagen hatte; er versuchte sie auszubessern, indem er die Stücke aneinanderfügte.
    »Da habe ich was Schönes angestellt, wo es doch so leicht war zu klopfen!« murmelte er mit einem plötzlichen Bedauern. »Eine neue Tür wird mich mindestens dreißig Francs kosten.«
    Er war im Garten. Als er den Kopf hob und gewahrte, daß im ersten Stock das Schlafzimmer hell erleuchtet war, glaubte er, seine Frau ginge zu Bett. Das versetzte ihn in großes Erstaunen. Zweifellos hatte er unter der Brücke geschlafen, als er das Ende des Platzregens abwartete. Es mußte sehr spät sein. Tatsächlich waren die Nachbarfenster schwarz, Herrn Rastoils Fenster ebenso wie die Fenster der Unterpräfektur. Und er ließ den Blick zurückschweifen, als er im zweiten Stock hinter Abbé Faujas dichten Vorhängen einen Lampenschimmer sah. Das war gleichsam ein flammendes Auge, das an der Stirn der Hauswand angezündet war und ihn verbrannte. Er preßte seine brennenden Hände gegen die Schläfen, war kopflos, trieb in einer schrecklichen Erinnerung, in einem ohnmächtigen Alptraum, in dem sich nichts Klares formte, in dem sich die Drohung einer
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