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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4
Autoren: Émile Zola
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langgezogener Stimme. Mit einem Satz sprang er auf, fiel wieder auf die Seite. Nun gab es einen entsetzlichen Auftritt: Er krümmte sich wie ein Wurm, schlug sich das Gesicht mit den Fäusten blau, riß sich mit den Fingernägeln die Haut auf. Bald war er halbnackt, seine Kleider zerfetzt und zerdrückt; braun und blau geschlagen, röchelte er.
    »Gehen Sie doch hinaus, Madame!« schrie der Wärter.
    Marthe war wie festgenagelt. Sie erkannte sich selber dort auf der Erde wieder; so warf sie sich im Zimmer auf den Fliesenboden, so zerkratzte sie sich, so schlug sie sich. Und sogar ihrer Stimme begegnete sie wieder; Mouret hatte genau dasselbe Röcheln wie sie. Sie war es, die diesen Unglückseligen zu dem gemacht hatte, was er war.
    »Er ist nicht verrückt!« stammelte sie. »Er kann nicht verrückt sein! – Es wäre schrecklich. Ich möchte lieber sterben.«
    Der Wärter faßte sie um den Leib, setzte sie vor die Tür; aber sie blieb dort stehen, preßte das Ohr an das Holz. Sie hörte in der Zelle den Lärm eines Ringens, das Schreien eines Schweines, das abgestochen wird; dann gab es einen dumpfen Fall, als werde ein Packen nasser Wasche hingeworfen; und Totenstille herrschte. Als der Wärter wieder herauskam, war die Nacht fast hereingebrochen. Sie sah durch die einen Spalt offene Tür nur in ein schwarzes Loch.
    »Donnerwetter!« sagte der Wärter, der noch wütend war. »Sie sind komisch, Madame, daß Sie schreien, er ist nicht verrückt! Ich hätte beinahe meinen Daumen dabei gelassen, den er zwischen seinen Zähnen hielt … Für ein paar Stunden wird er ruhig sein.« Und während er sie zurückbegleitete, sprach er weiter: »Sie wissen nicht, wie bösartig sie hier alle sind! – Stundenlang führen sie sich anständig auf, sie erzählen einem Geschichten, die sich vernünftig anhören; bums! – springen sie einem dann ohne weiteres an die Kehle … Ich sah gleich, daß er etwas im Schilde führte, während er von seinen Kindern sprach; er hatte die Augen ganz verdreht.«
    Als Marthe Onkel Macquart in dem kleinen Hof wiederfand, sagte sie fieberhaft, ohne weinen zu können, mit langsamer und gebrochener Stimme immer wieder: »Er ist verrückt! Er ist verrückt!«
    »Allerdings, er ist verrückt«, sagte der Onkel grinsend. »Hast du denn damit gerechnet, daß du ihn antriffst, wie er sich als netter junger Mann aufführt? Man hat ihn sicherlich nicht umsonst hierher gesteckt … Übrigens macht einen das Haus krank. O je! Nach zwei Stunden würde ich darin rasend werden.« Er musterte sie verstohlen von der Seite und paßte auf ihre kaum merklichen nervösen Zuckungen auf. Dann sagte er in seinem biederen Ton: »Vielleicht willst du die Großmutter sehen?«
    Marthe machte eine Gebärde des Entsetzens und verbarg ihr Gesicht zwischen den Händen.
    »Das ließe sich ohne Umstände machen«, begann er wieder. »Alexandre hätte uns dieses Vergnügen verschafft … Sie ist dort nebenan, und bei ihr ist nichts zu befürchten, sie ist sehr sanftmütig. Nicht wahr, Alexandre, sie hat dem Haus nie Verdruß bereitet? Sie bleibt sitzen und schaut vor sich hin. Seit zwölf Jahren hat sie sich nicht gerührt … Kurzum, da du sie nicht sehen willst …«
    Als sich der Wärter von ihnen verabschiedete, lud Macquart ihn ein, ein Glas Glühwein zu trinken, und zwinkerte dabei in einer bestimmten Weise mit den Augen, was Alexandre zu bewegen schien, darauf einzugehen. Sie mußten Marthe stützen, der bei jedem Schritt die Beine versagten. Als sie anlangten, trugen sie sie; ihr Gesicht war verzerrt, ihre Augen weit offen, sie war steif infolge eines jener Nervenanfälle, in denen sie stundenlang wie tot dalag.
    »Da haben wir es! Was hatte ich gesagt?« schrie Rose, als sie sie erblickte. »Sie ist in einem netten Zustand, und wir sitzen schön in der Tinte, was die Heimfahrt betrifft! Mein Gott! Ist denn das die Möglichkeit, daß jemand einen so schrulligen Kopf hat? Herr Mouret hätte sie würgen sollen, das wäre ihr eine Lehre gewesen.«
    »Ach was!« sagte der Onkel. »Ich werde sie auf mein Bett legen. Wir werden nicht daran sterben, wenn wir die Nacht am Feuer verbringen.« Er zog einen Kattunvorhang beiseite, der einen Alkoven verdeckte.
    Brummend kleidete Rose ihre Herrin aus. Es sei nichts weiter zu tun, sagte sie, als ihr einen heißen Ziegelstein an die Fuße zu legen.
    »Jetzt, wo sie im Heiabett liegt, werden wir einen Schluck trinken«, begann der Onkel und grinste dabei wie ein gezähmter Wolf. »Ihr
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