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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4
Autoren: Émile Zola
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anlangten, war der Himmel wieder klar.
    »Fahren Sie in die Rue Balande?« fragte Macquart.
    »Natürlich«, sagte Rose erstaunt.
    Da erklärte er ihr, daß Marthe ihm sehr krank vorkomme und daß es vielleicht besser sei, sie zu ihrer Mutter zu bringen. Nach langem Zögern willigte er jedoch ein, sein Pferd vor dem Haus der Mourets anzuhalten. Marthe hatte nicht einmal den Hauptschlüssel mitgenommen. Glücklicherweise fand Rose ihren Hauptschlüssel in ihrer Tasche; aber als sie öffnen wollte, gab die Tür nicht nach; die Trouches mußten die Riegel vorgeschoben haben. Sie schlug mit der Faust dagegen, ohne ein anderes Geräusch hervorzurufen als den dumpfen Widerhall in der großen Diele.
    »Es ist falsch von Ihnen, unbedingt ins Haus zu wollen«, sagte der Onkel, der in sich hineinlachte. »Die werden nicht herunterkommen, das würde sie stören … Da seid ihr also glattweg bei euch zu Hause vor die Tür gesetzt, meine Kinder. Mein erster Gedanke war gut, seht Ihr. Man muß das liebe Kind zu Rougons schaffen; sie wird dort besser aufgehoben sein als in ihrem eigenen Zimmer, das versichere ich euch.«
    Félicité verfiel in eine lärmende Verzweiflung, als sie ihre Tochter zu solcher Stunde, vom Regen durchnäßt und halbtot, erblickte. Sie legte sie im zweiten Stock zu Bett, versetzte das Haus in Aufregung, brachte alle Dienstboten auf die Beine. Als sie sich ein bißchen beruhigt hatte und am Kopfende von Marthes Bett saß, verlangte sie Erklärungen.
    »Aber was ist denn geschehen? Wie kommt es, daß Sie sie in einem solchen Zustand wieder zurückbringen?«
    Macquart berichtete im Ton großer Biederkeit von der Fahrt des »lieben Kindes«. Er verteidigte sich, sagte, er habe alles getan, um sie daran zu hindern, zu François zu gehen. Er rief schließlich Rose zum Zeugen an, als er sah, daß Félicité ihn mit argwöhnischer Miene aufmerksam musterte.
    Aber Félicité schüttelte weiterhin den Kopf.
    »Diese Geschichte ist recht verdächtig!« murmelte sie. »Da steckt etwas dahinter, was ich nicht verstehe.« Sie kannte Macquart, sie witterte in der geheimes Freude, die ihn die Augenlider zusammenkneifen ließ, einen Schurkenstreich.
    »Sie sind seltsam«, sagte er böse werdend, um ihrer Musterung zu entgehen. »Sie bilden sich immer unmögliche Sachen ein. Ich kann Ihnen nicht sagen, was ich nicht weiß … Ich liebe Marthe mehr als Sie, ich habe immer nur in ihrem Interesse gehandelt. So, wenn Sie wollen, werde ich den Arzt holen.«
    Frau Rougon blickte ihm nach. Sie fragte Rose lang und breit aus, ohne irgend etwas zu erfahren. Übrigens schien sie sehr glücklich zu sein, ihre Tochter bei sich zu haben; sie sprach bitter von »Leuten, die einen vor der Tür seines Hauses kommen lassen, ohne einem auch nur aufzumachen«.
    Marthe, deren Kopf hintuüer auf das Kissen gesunken war, lag im Sterben.
     

Kapitel XXII
    In der Zelle in Les Tulettes war finstere Nacht. Ein eisiger Windhauch riß Mouret aus der Benommenheit, in die ihn der Starrsuchtsanfall am Abend geworfen hatte. Dicht an der Wand kauernd, verharrte er einen Augenblick regungslos und mit offenen Augen, rollte den Kopf gemächlich über die Kälte des Steins, greinte wie ein Kind beim Erwachen. Aber ein so furchtbarer Luftzug schnitt ihm in die Beine, daß er sich erhob und nachsah. Da gewahrte er vor sich die weit offene Zellentür.
    »Sie hat die Tür offengelassen«, sagte der Irre mit lauter Stimme. »Sie wird auf mich warten, ich muß fortgehen.«
    Er ging hinaus, kam wieder zurück und tastete mit der kleinlich besorgten Miene eines ordentlichen Menschen, der irgendwas zu vergessen fürchtet, seine Kleidungsstücke ab; dann machte er die Tür sorgfältig wieder zu. Mit kleinem, ruhigem Schritt, wie ein bummelnder Bürger, überquerte er den ersten Hof. Als er den zweiten Hof betrat, sah er einen Wärter, der auszuspähen schien. Er blieb stehen, besann sich einen Augenblick. Aber nachdem der Wärter verschwunden war, befand er sich am anderen Ende des Hofes vor noch einer offenen Tür, die ins Freie führte. Er machte sie hinter sich wieder zu, ohne sich zu wundern, ohne sich zu beeilen.
    »Sie ist doch eine gute Frau«, murmelte er, »sie wird gehört haben, daß ich sie rief … Es muß spät sein. Ich werde nach Hause gehen, damit sie sich daheim keine Sorgen machen.«
    Er schlug einen Weg ein. Es schien ihm selbstverständlich, daß er auf freiem Felde war. Nach hundert Schritten vergaß er Les Tulettes, das hinter ihm lag; er bildete
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