Die Eroberung von Plassans - 4
sie im Salon. Aber gleich auf der Schwelle blieb er stehen. Er war nicht mehr bei sich zu Hause. Die helle malvenfarbene Tapete des Salons, der rotgeblümte Teppich, die neuen, mit kirschrotem Damast bezogenen Sessel versetzten ihn in tiefes Erstaunen. Er fürchtete, die Wohnung eines anderen zu betreten, er machte die Tür wieder zu.
»Marthe! Marthe!« lallte er abermals verzweifelt.
Er war in die Mitte der Diele zurückgekommen, überlegte, konnte jenen heiseren Atem, der in seiner Kehle anschwoll, nicht besänftigen. Wo war er denn, daß er keinen Raum wiedererkannte? Wer hatte ihm denn sein Haus so verändert? Und die Erinnerungen ertranken. Er sah nur Schatten den Flur entlangschleichen: zuerst zwei arme, höfliche, bescheiden beiseite tretende schwarze Schatten; dann zwei graue und verdächtige Schatten, die höhnisch grinsten. Er hob die Lampe, deren Docht hin und her flackerte; die Schatten wurden größer, zogen sich dicht an den Wänden in die Länge, stiegen im Treppenhaus nach oben, erfüllten, verschlangen das ganze Haus. Irgendein übler Unrat, irgendein Zersetzungsgärstoff, der dort hineingebracht worden war, hatte das Holzgetäfel verfaulen, das Eisen verrosten lassen, das Mauerwerk rissig gemacht. Da hörte er, wie das Haus gleich einem vom Schimmel befallenen Gipskloben zerbröckelte, gleich einem in laues Wasser geworfenen Stück Salz zerschmolz.
Oben ertönte helles Gelächter, das ihm die Haare zu Berge stehen ließ. Er setzte die Lampe auf den Boden und ging hinauf, um Marthe zu suchen; er kroch auf allen vieren, lautlos, geschwind und behutsam wie ein Wolf. Als er auf dem Treppenabsatz im ersten Stock war, kauerte er sich vor die Schlafzimmertür nieder. Ein Lichtstrahl drang unter der Tür hindurch. Marthe ging wohl zu Bett.
»Na schön!« sagte Olympes Stimme. »Denen ihr Bett ist wunderbar! Sieh nur, wie man einsinkt. Honoré, ich stecke bis zu den Augen in Federn.« Sie lachte, sie streckte sich lang aus, hüpfte inmitten der Decken umher. »Soll ich dir was sagen?« begann sie wieder. »Na schön! Seitdem ich hier bin, gelüstet es mich, in dieses Heiabett schlafen zu gehen … Das war eine Krankheit, was! Ich konnte nicht sehen, wie sich diese dürre Mähre, die Hausbesitzerin, darin rekelte, ohne daß ich eine wütende Lust verspürte, sie rauszuschmeißen, um mich an ihren Platz zu legen … Man ist sofort warm! Es kommt mir vor, als ob ich in Watte gepackt bin.«
Trouche, der nicht im Bett lag, rückte die Fläschchen auf dem Toilettentisch hin und her.
»Sie hat alle möglichen Duftwasser«, murmelte er.
»Sieh mal«, fuhr Olympe fort, »da sie ja nicht hier ist, konnten wir uns das schöne Zimmer gut leisten! Es besteht keine Gefahr, daß sie uns stört; ich habe die Riegel vorgeschoben … Du wirst dich erkälten, Honoré.«
Er zog die Schubfächer der Kommode auf, wühlte in der Wäsche.
»Zieh doch das an«, sagte er und warf Olympe ein Nachthemd zu. »Das ist voller Spitzen. Ich habe immer davon geträumt, mit einer Frau zu schlafen, die Spitzen anhat … Ich werde dieses rote Halstuch nehmen … Hast du die Laken gewechselt?«
»Meine Güte, nein!« erwiderte sie. »Daran habe ich nicht gedacht; sie sind noch sauber … Sie ist um ihre Person sehr besorgt, ich ekele mich nicht vor ihr.« Und als Trouche sich endlich hinlegte, rief sie ihm zu: »Bring die Groggläser auf den Nachttisch! Wir werden doch nicht aufstehen, um sie am anderen Ende des Zimmers zu trinken … So, mein Dickerchen, sind wir wie richtige Hausbesitzer.«
Sie hatten sich nebeneinander ausgestreckt, das Daunenbett bis zum Kinn hochgezogen und schmorten in einer sanften Wärme.
»Heute abend habe ich gut gegessen«, murmelte Trouche nach kurzem Schweigen.
»Und gut getrunken«, fügte Olympe lachend hinzu. »Ich fühle mich prima, ich sehe, wie sich alles dreht … Ärgerlich ist, daß wir Mama immer noch auf dem Halse haben; heute ist sie unausstehlich gewesen. Ich kann nicht mehr einen Schritt im Haus tun … Das lohnt sich ja nicht, daß die Hausbesitzerin abhaut, wenn Mama hierbleibt, um den Gendarm zu spielen. Das hat mir den Tag verdorben.«
»Denkt der Abbé nicht daran, abzuhauen?« fragte Trouche nach einem erneuten Schweigen. »Wenn er zum Bischof ernannt wird, wird er uns das Haus wohl lassen müssen.«
»Man weiß nicht«, antwortete sie übelgelaunt. »Mama denkt vielleicht daran, es zu behalten … Man würde sich so wohl fühlen, ganz allein! Die Hausbesitzerin würde ich oben im
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