Die Eroberung von Plassans - 4
sie mit ungewöhnlicher Kraft zur Seite geworfen.
»Wohin wollen Sie gehen?« fragte sie sie mit ihrer derben Bäuerinnenstimme.
»Ich gehe, wohin es mir paßt«, erwiderte Frau Paloque, der der Arm gequetscht worden war und deren Gesicht vor Zorn ganz verzerrt war. »Sie sind eine unverschämte und rohe Person … Lassen Sie mich vorbei. Ich bin die Schatzmeisterin des Marienwerkes, ich habe das Recht, hier überall hineinzugehen.«
Frau Faujas, die aufrecht dastand und sich gegen die Tür lehnte, hatte ihre Brille auf der Nase wieder zurechtgerückt. Mit der schönsten Kaltblütigkeit von der Welt machte sie sich wieder an ihre Strickarbeit.
»Nein«, sagte sie rundweg, »Sie werden nicht hineingehen.«
»Ah! – Und warum nicht, wenn ich bitten darf?«
»Weil ich nicht will.«
Die Richtersfrau merkte, daß ihr Streich mißglückt war; sie bekam vor Wut kaum mehr Luft. Sie wurde fürchterlich und sagte stammelnd immer wieder:
»Ich kenne Sie nicht, ich weiß nicht, was Sie da machen; ich könnte schreien und Sie verhaften lassen, denn Sie haben mich geschlagen. Es müssen sich hinter dieser Tür sehr häßliche Dinge abspielen, daß Sie beauftragt sind, die Leute, die zum Hause gehören, am Eintreten zu hindern. Ich gehöre zum Hause, verstehen Sie? – Lassen Sie mich vorbei, oder ich werde das ganze Haus zusammenrufen.«
»Rufen Sie, wen Sie wollen«, antwortete die alte Dame achselzuckend. »Ich habe Ihnen gesagt, daß Sie nicht hineingehen werden; ich will das nicht, das ist doch deutlich … Weiß ich denn, ob Sie zum Hause gehören? Übrigens wäre das ebenso, wenn Sie dazugehörten. Niemand kann hinein … Das ist meine Angelegenheit.«
Da verlor Frau Paloque jedes Maß; sie hob die Stimme, sie schrie:
»Ich brauche nicht hineinzugehen. Das genügt mir. Ich bin belehrt. Sie sind Abbé Faujas˜ Mutter, nicht wahr? Na schön! Das ist eine saubere Geschichte, Sie betreiben da ein nettes Gewerbe! – Wahrhaftig, nein, ich gehe nicht hinein; ich will mich nicht in alle diese Schmutzigkeiten mischen.«
Frau Faujas legte ihr Strickzeug auf den Stuhl und sah sie durch ihre Brille hindurch mit funkelnden Augen an, stand ein bißchen gekrümmt, hatte die Hände vorgestreckt, als sei sie drauf und dran, sich auf sie zu stürzen, um sie zum Schweigen zu bringen. Sie war im Begriff loszuspringen, da wurde plötzlich die Tür geöffnet, und Abbé Faujas erschien auf der Schwelle. Er war im Chorhemd, sah ernst aus.
»Nun! Mutter«, fragte er, »was ist denn los?«
Die alte Dame senkte den Kopf, wich zurück wie eine Dogge, die sich hinter die Beine ihres Herrn drückt.
»Sie sind es, liebe Madame Paloque«, fuhr der Priester fort. »Wünschten Sie mich zu sprechen?«
Mit höchster Willensanstrengung hatte die Richtersfrau ein Lächeln zustande gebracht. Sie antwortete in schrecklich liebenswürdigem Ton mit spitzem Spott:
»Wie! Sie waren dort, Herr Pfarrer? Ach, wenn ich das gewußt hätte, hätte ich nicht darauf bestanden. Ich wollte nach unserer Altardecke sehen, die nicht mehr in gutem Zustand sein soll. Sie wissen, ich bin hier die gute Hausfrau; ich passe auf die kleinsten Kleinigkeiten auf. Aber da Sie nun einmal beschäftigt sind, will ich Sie nicht stören. Machen Sie weiter, erledigen Sie Ihre Angelegenheiten, das Haus steht Ihnen zur Verfügung. Madame brauchte mir nur ein Wort zu sagen, ich hätte sie über Ihre Ruhe wachen lassen.«
Frau Faujas ließ sich ein Knurren entschlüpfen. Ein Blick ihres Sohnes besänftigte sie.
»Treten Sie bitte ein«, begann er wieder. »Sie stören mich keineswegs. Ich nahm Madame Mouret, die ein bißchen leidend ist, die Beichte ab … Treten Sie doch ein. Die Altardecke könnte tatsächlich gewechselt werden.«
»Nein, nein, ich komme wieder«, sagte sie mehrmals. »Ich bin bestürzt, Sie unterbrochen zu haben. Machen Sie weiter, machen Sie weiter, Herr Pfarrer.«
Sie trat indessen doch ein. Während sie sich mit Marthe die Altardecke ansah, schalt der Priester seine Mutter mit leiser Stimme:
»Warum habt Ihr sie aufgehalten, Mutter? Ich habe Euch nicht gesagt, daß Ihr die Tür bewachen sollt.«
Sie starrte vor sich hin und sah aus wie ein störrisches Tier.
»Nur über meine Leiche wäre sie hineingekommen.«
»Aber warum denn?«
»Weil … Hör zu, Ovide, werde nicht böse; du weißt, daß du mich tötest, wenn du böse wirst … Du hattest mir gesagt, ich soll unsere Hausbesitzerin hierher begleiten, nicht wahr? Nun ja! Ich habe geglaubt, du
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