Die Erscheinung
Gesprächsstoff und fragte Monique, welcher Hund ihr gefallen würde. »Was Kleines, Süßes«, antwortete sie prompt. Offenbar hatte sie gründlich darüber nachgedacht und genaue Vorstellungen. »Am liebsten hätte ich einen Chihuahua.«
»So ein winziges Hündchen? Das würdest du mit deinem Hamster verwechseln«, meinte er, worauf sie in lautes Gelächter ausbrach. Dann beschrieb er Gladys' gutmütigen Irish Setter und erbot sich, Monique einmal ins Haus der alten Dame mitzunehmen und mit der Hündin bekannt zu machen. Jetzt lächelte Francesca beinahe. Es bedrückte ihn, sie meistens traurig zu sehen. Wenigstens war das Kind fröhlich. Das verriet einiges über ihre mütterlichen Qualitäten. Offenbar hatte sie ihre Tochter vor den deprimierenden Ereignissen in Paris geschützt.
Ein paar Minuten später erreichten sie Deerfield und betraten das Restaurant, in dem es laut und lebhaft zuging. Sobald sie an ihrem reservierten Tisch saßen, bestellte Monique Spaghetti mit Fleischbällchen. Die Erwachsenen brauchten etwas länger, um sich für Capellini mit Basilikum und Tomaten und den passenden Wein zu entscheiden. Als Francesca mit dem Kellner Italienisch sprach, freute er sich sichtlich, und Charlie hörte fasziniert zu. »Diese Sprache höre ich sehr gern. Haben Sie in Italien gelebt?«
»Bis ich neun Jahre alt war. Mit meinem Vater, der vor ein paar Jahren starb, sprach ich immer Italienisch, und ich wünschte, Monique würde es lernen. Eine zusätzliche Fremdsprache kann nicht schaden. Und vielleicht wird sie später nach Europa ziehen.« Allerdings hoffte Francesca im Grunde ihres Herzens, das Mädchen würde in den Staaten bleiben. »Und Sie, Charlie? Werden Sie nach London zurückkehren?«
»Das weiß ich nicht. Ursprünglich hatte ich vor, nach einem Skiurlaub in Vermont von Boston aus nach England zu fliegen. Dann lernte ich Gladys Palmer kennen und verliebte mich in ihr Château. Ich hab's für ein Jahr gemietet. Wenn ich wieder in Europa lebe, kann ich meine Freizeit hier verbringen. Vorerst bin ich glücklich in Shelburne, obwohl mich mein Gewissen plagt, weil ich nicht arbeite - ein ungewohnter Zustand. Aber irgendwann werde ich meine Tätigkeit als Architekt wieder aufnehmen, vorzugsweise in London.«
»Warum?«, fragte Francesca verwirrt. Was trieb ihn in eine Stadt zurück, wo er so verzweifelt gewesen war? Wollte er versuchen, seine Ehe zu retten?
»Weil ich London liebe«, erwiderte er, während sich Monique über ihre Spaghetti hermachte. Und er liebte Carole. Wahrscheinlich für alle Zeiten. Selbst wenn sie Simon heiraten würde. Doch das erwähnte er nicht.
»Und ich liebe Paris«, gestand Francesca mit leiser Stimme. »Trotzdem wollte ich - danach nicht mehr dort wohnen. Ich wäre verrückt geworden. Allein schon der Gedanke, ich könnte Pierre an jeder Straßenecke begegnen - und ihn hassen … Jedes Mal, wenn ich ihn im TV sah, weinte ich - und brachte es einfach nicht fertig, den Apparat auszuschalten. Schließlich war ich ganz krank, und so zog ich hierher. Ich kann mir nicht vorstellen, jemals wieder in Frankreich zu leben.« Resigniert lächelnd schaute sie Charlie über ihre Capellini hinweg an.
»Werden Sie in Shelburne bleiben?«
»Vielleicht. Meine Mutter meint, Monique müsste auf eine New Yorker Schule gehen, wo sie eine bessere Ausbildung erhalten würde. Aber wir fühlen uns hier wohl, die Schule ist okay, und sie kann nach Herzenslust Ski fahren. Wir bewohnen ein hübsches kleines Haus am Stadtrand. Erst mal will ich meine Dissertation in Shelburne beenden und dann eine Entscheidung treffen. Ich möchte später als Schriftstellerin arbeiten. Sicher wäre diese friedliche Gegend genau richtig für diesen Job.«
»Und ich will malen.« In seinem Stil hatte er sich stets ein bisschen an Wyeth orientiert, und die Landschaft rings um Andrew Wyeth, amerk. Maler des 20. Jhrd. Shelburne würde perfekte Motive bieten, vor allem im Winter, wenn überall Schnee lag.
»Ein Mann mit vielen Talenten«, bemerkte sie, und er freute sich über den heiteren Glanz ihrer Augen.
Nun bezogen sie Monique, die sich bisher ihren Spaghetti gewidmet und nur mit halbem Ohr zugehört hatte, wieder in das Gespräch ein. Sie erzählte vom Apartment ihres Vaters in Paris, vom Bois de Boulogne, wo sie jeden Tag nach der Schule spazieren gegangen war, von Ausflügen mit den Eltern. Besorgt beobachtete Charlie das Gesicht ihrer Mutter, das immer schmerzlichere Züge annahm. Erst als er das Thema
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