Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
Detektivfähigkeiten jedoch so sehr übersteigen, dass ich sie nicht nur niemals lösen, sondern sie noch nicht einmal als Rätsel erkennen werde, die es zu lösen gilt.
Ich bin zu alt, um mich daran zu erinnern, was du nicht wissen darfst. Ich glaub, ich spinne.
Ich weiß noch, wie ich eines Nachts, als Toff und Großmutter zu Besuch waren, wach wurde, und außer ihnen war niemand im Haus. Onkel Thoby war im Civil Manor. Das wusste ich. Toff lag im Keller und schlief. Großmutter schnaufte im Gästezimmer. Aber wo war mein Dad. Mein Dad war nicht in seinem Zimmer.
Ich ging nach unten.
Ich fragte Wedge: Hast du ihn gesehen.
Wedge kaute an seinen Nägeln.
Ich holte eine Taschenlampe aus dem Küchenschrank und schlich die Kellertreppe hinunter. Ich hörte Toffs albernes Geschnarche. Ich ließ den Strahl der Taschenlampe durchs Zimmer wandern. An den Wänden hingen gleich fünf RAUCHEN-VERBOTEN-Schilder. Meiner Wenigkeit sei Dank.
Damals war der Keller noch kein Flugzeug. Höchstens ein Flugzeugembryo.
Ich leuchtete Toff ins Gesicht. Er schlief auf dem Rücken, und sein Bart lag über der Decke. Igitt.
Keine Spur von meinem Dad.
Ich ging in sein Zimmer. Ich sah unter dem Bett nach. Allmählich kriegte ich es mit der Angst. Ich weinte in den Heizungsschlitz. Wo war er.
Wo bist du.
Ich ging wieder in mein Zimmer und kroch ins Bett. Es roch immer noch nach dem Lysol, mit dem ich den Toffgestank beseitigt hatte. Ich zog mir die Decke mit den galoppierenden Pferden über den Kopf und versuchte, ans Galoppieren zu denken. Wie ich eines Tages auf Rambo dahinjagen und keiner seiner vier Hufe den Boden berühren würde. Schließlich schlief ich ein.
Am nächsten Morgen war mein Dad in der Küche und kämpfte wie üblich erfolglos mit den Kaffeefiltern.
Kannst du mal. Er zeigte auf die Packung.
Nein.
Am liebsten hätte ich ihn getreten. Stattdessen rammte ich ihm den Kopf in den Magen.
Was soll denn das.
Ich trat ihm auf den bestrumpften Fuß, und zwar fest.
Au.
Ich hatte eine Montage, in der ich ein armes Waisenkind war.
Er legte mir behutsam die Hände auf den Kopf. Ach, Schätzchen.
Ich rufe Verlaine an. Ich sage, ich sei bei den Leuten gewesen, die meinen Dad auf dem Gewissen haben, aber sie seien keine Mörder.
Schweigen.
Ich sage, ich sei der Lösung des Rätsels keinen Schritt näher.
Welches Rätsel, Audray.
Eben. Welches Rätsel. Der Rätsel sind so viele. Ich erzähle ihr, was Großmutter gesagt hat.
Darf ich dir einen Vorschlag machen.
Okay.
Mach dich auf die Suche.
Nach Wedge.
Nach deinem Onkel.
Du meinst, ich soll in ein Flugzeug steigen.
Ich meine, du sollst in ein Flugzeug steigen.
A bnach unten. Auf halber Treppe bleibe ich stehen und setze mich auf eine Stufe. Zurre meinen Pferdeschwanz ein wenig fester. Gürte meine Lenden. Und besteige tapfer das Flugzeug im Keller.
Es sieht unverändert aus. Leere Sitze. Gemalte ovale Fenster. Der Getränkewagen steht im Mittelgang. Die einzige Neuerung ist der Pilotensessel. Der neue Sessel dreht sich. Ich starre in die Ferne, wie Onkel Thoby sie sah. So viele Flugzeuge, so weit weg und doch so nah. Noli me tangere .
Ich wirbele herum und lasse den Blick über die leeren Sitzreihen schweifen. Wedge, rufe ich. Vielleicht geschieht ein Wunder, und er erscheint und kommt mit offenen Armen angerannt.
Hier spricht Ihr Pilot. Äh. Wo sind meine Passagiere. Wo seid ihr. Wedge. Onkel Thoby. Dad. Wo.
Man löst ein Rätsel nicht, indem man zu den gewonnenen Erkenntnissen immer neue hinzuaddiert. Man löst ein Rätsel, indem man das subtrahiert, was man bereits zu wissen glaubt. Man zieht eine Vermutung nach der anderen ab, bis die Wahrheit und nichts als die Wahrheit übrig bleibt. Dann stellt man noch einmal die Frage: Wo seid ihr.
Und von irgendwo kommt unverhofft ein Stimmlein her. Da drüben.
Ich öffne die Tür des Getränkewagens. Flaschen, Flaschen, überall. In jeder Schublade. Leer, kreuz und quer. Wie Kraut und Rüben durcheinander. Schenkt ein den Piratensherry.
Ach, armer, armer Onkel Thoby.
Irgendwo hier muss sie sein. Onkel Thoby hat gesagt, die Tasche mit den »Effekten« von meinem Dad sei hier im Keller. Ich verstand nicht, was er damit meinte. Dabei sind die »Effekten« offenbar weiter nichts als das, was mein Dad zum Zeitpunkt der Kollision an- beziehungsweise bei sich hatte. Das CRYNOT-Armband war in der Tasche. In der Nacht, als ich ankam, musste Onkel Thoby das Armband aus der Tasche kramen. Warum. Damit
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