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Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Grant
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Notiz in Ihrer krakeligen Kinderschrift. Bitte nicht abstürzen. Bitte schreib zurück. Weil Sie wussten: Wenn jemand diese Botschaft fand, dann waren Sie noch am Leben. Waren wir noch am Leben.

     
    Auf der Rückseite steht der Anfang eines Artikels. »Anstieg der Mortalitätsrate bei alternden Mus musculus ähnlich langsam wie beim Menschen.« Autor: Leonel de Tigrel. Nun ja, er ist einer der kleineren Autoren. Aber er ist vermutlich immer einer der Autoren, egal welchen Artikel man sich anschaut.
    Weiter im Text. Ich löse das Foto vorsichtig von dem Oval. Mein Dad sitzt in einem Flugzeug.
    Was mich, ehrlich gesagt, nicht weiter wundert.
    Aber er sitzt nicht im Flugzeug im Keller. Die Sitze sehen anders aus. Die Sitze im Keller sind blau mit schwarzen Karos. Der Sitz auf dem Foto hat keine Karos.
    Er sitzt in einem richtigen Flugzeug. Ich habe dieses Foto gemacht. Ich erinnere mich genau. Aber wie kommt es hierher. Ich habe es doch an Bord gelassen. Ich habe diesen Brief und zwei Fotos in meiner Armlehne versteckt.
    Wo ist das andere Foto.
    Ich gehe im Mittelgang auf und ab. Rüttele an sämtlichen Armlehnen. Nein, nein, nein. Erste Reihe, Fensterplatz. Links. Und tatsächlich. Die Armlehne lässt sich öffnen!
    Wenn auch erst nach zwanzig Minuten und unter Zuhilfenahme eines Schraubenziehers.
    Und siehe da, ein Geheimfach. Und es ist nicht leer. Nein, es ist etwas darin. Das andere Foto, auf dem mein Dad sich in die Kotztüte erbricht. Und Briefe. Etwa fünfzig Briefe mit einem Gummiband darum. Ich setze mich. Schnalle mich an. Und ziehe den ersten Brief heraus.
    Wilfred Moss
138 Welkin Way Road
London W12 2RU
United Kingdom
     
    Sehr geehrter Mr. Moss, Sie haben hoffentlich Verständnis dafür, dass ich Ihren mit »Das Flugzeug« unterzeichneten Brief an meine Tochter abgefangen habe. Welche »Botschaft« meinen Sie. Ihre Absichten sind zweifelsohne löblich. Ihre Situation hingegen scheint mir höchst bedauerlich. Soweit das Ihren Zeilen zu entnehmen ist. Wie habe ich mir Ihre Situation denn vorzustellen. Was für ein sonderbares Schreiben. Was Sie da schildern, scheint mir eine Form der Hemihypertrophie zu sein.
    Verzeihen Sie einem fürsorglichen Vater, der hiermit um Erklärung bittet.
     
    Walter Flowers
    Ich sitze eine Zeit lang still. Dann falte ich den Brief zusammen und stecke ihn in die Armlehne zurück. Klappe sie zu. Öffne meinen Sicherheitsgurt. Schraube die Armlehne wieder fest. Das ist nicht mein Geheimfach.
    Ach komm, Audrey.
    Kommen. Wohin.
    Hoch mit dir. Und los.

 
    Teil vier
     
    SCHILDKRÖTE, KOMM
     
    W ieder bin ich Shakespeares Türstopper. Pardon, Lesezeichen. Während Chuck sich aus den Tomaten vom Weihnachtsgeschenk der Strolche ein leckeres Sandwich zubereitet. Das wird Linda gar nicht schmecken.
    Ich schließe die Augen. Lasse den Kopf hängen. Ich habe mich von meinen weihnachtlichen Exzessen noch immer nicht erholt. Ich habe höllischen Durst. Und denke pausenlos an meinen Pool, der unerreichbar fern ist, solange ich als Lesezeichen Dienst tun muss.
    Kopf hoch, Winnifred, sagt Chuck und lässt ein Salatblatt in das Buch fallen.
    Zu gütig, Mr. Stiller.
    Ob sich diesem erbärmlichen, verwelkten Fetzen Grünzeug wohl ein Tröpfchen Feuchtigkeit abtrotzen lässt. Wir werden sehen. Ich beiße hinein und ziehe es zu mir heran. Es gleitet langsam seitab und offenbart folgende Worte:
    Schildkröte, komm! 60
    Wobei mir der Bissen buchstäblich im Halse stecken bleibt. Jungejunge. Stand das etwa schon immer da. Wie konnte mir das bloß entgehen.
    Ich werfe das Salatblatt beiseite und tippe mir auf die Brust. Ich.
    Ja, du.
    Kommen. Wohin.
    Ich würde ja gern wissen, wie es weitergeht, aber wenn ich noch weiterlese, laufe ich Gefahr, erst vom Buch und dann vom Tisch zu fallen.
    Mist. Ich blicke Hilfe suchend zu Chuck. Der völlig darin aufgeht, den Tomatenstrauch zu plündern.
    Ich widme mich wieder den Worten zwischen meinen Füßen.
    Schildkröte, komm, und das hoch sechzig!
     
    Ich bin eben doch eine besondere Schildkröte. Einst, vor etwa hundert Jahren, habe ich die Wüste durchquert. Den ganzen langen Weg von Texas. Langsam wie das Kamel in Lawrence von Arabien . Von Durst kann ich ein Lied singen. Zitronentortenpools gab es damals noch nicht. Am Wegesrand stieß ich immer wieder auf umgestülpte, von Vögeln ausgepickte Schildkrötenpanzer. Ziemlich entmutigend. Aber ich marschierte wacker weiter. Warum. Weil ich von dreißig Meter hohen Bäumen gehört hatte. Und von Regen. Und

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