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Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Grant
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der Gedemütigte. Dann wartet er neben dem Gepäckkarussell wie ein vergessener Koffer. Wenn er denn kommt.
    Aber da fällt mir seine Biografie wieder ein, und mein Gewissen meldet sich. Denn vielleicht ist das ja die große Hürde in seiner Biografie. In ein Flugzeug zu steigen und hierherzukommen. Und jetzt habe ich diese Hürde noch erhöht. Ist doch klar, dass er Angst hat, in ein Flugzeug zu steigen. Ist doch klar.
     
    Im Haus ist alles ruhig. Ich ziehe meine Turnschuhe aus. Tapse auf Zehenspitzen in die Küche. Trinke ein Glas Milch. Setze meinen Reithelm ab. Kratze mich am Kopf. Setze den Reithelm wieder auf. Starre den Tisch und die drei Stühle an.
    Eine Fruchtfliege surrt vorbei. Auf dem Weg zur Hecke im Wohnzimmer. Verzeihung, darf ich mal.
    Ich mache ihr Platz.
    Einer der Stühle, Onkel Thobys Stuhl, sieht leer aus. Früher hat er nicht so leer ausgesehen. Warum jetzt. Und überhaupt. Wie kann jemand einen eigenen Stuhl haben, obwohl er noch nie hier gewesen ist.
    Taps, taps, die Treppe hoch. Vorbei an der Mini-Hecke auf dem Absatz. Drei Fruchtfliegen kreisen in Formation. Weiter zum Zimmer von meinem Dad. Ich mache die Tür auf. Er schläft auf der Seite. Wie kann man am frühen Nachmittag schlafen. Nicht zu fassen. Aber solange er noch schläft, werde ich ein Stück Schokolade aus seiner Tortenschublade stibitzen.
    Mein Dad hat einen Schreibtisch aus Dänemark ganz ohne Nägel oder Leim, der nur durch ein Wunder der Schwerkraft zusammengehalten wird. Die Schubladen sind rund wie eine Torte, wenn man sie herauszieht. Ich ziehe die oberste Schublade heraus, in der die dunkle Schokolade wohnt.
    Warum atmet er im Schlaf eigentlich so komisch und so tief, als ob es ihm egal wäre, wenn ich ihm seine Schokolade klaue. Ich schleiche zum Bett und lege mich neben ihn. Ich drücke die Schokolade mit der Zunge gegen den Gaumen. Sylvester Stallone über dem Bett sieht mächtig musklig aus.
    Ich lege mein Ohr an den Rücken von meinem Dad, zwischen seine Schulterblätter, vielleicht höre ich dann, was er träumt. Er trägt ein blaues Hemd, das heute Morgen noch ziemlich elegant aussah. Jetzt ist es eher feucht. Ich lausche. Nichts.
    Ich will gerade aufgeben, da wälzt er sich auf den Rücken. Ich stoße einen spitzen Schrei aus. Zum Glück habe ich keinen Reithelm auf.
    Er setzt sich auf und sagt: Herrgott, Audrey.
    Hallo.
    Was machst du denn.
    Mich ein bisschen hinlegen.
    Er kratzt sich am Kopf. Das macht er immer, wenn er aufwacht. Seine Haare wecken.
    Wie spät ist es, fragt er, plötzlich erschrocken.
    Halb zwei.
    Er sinkt wieder aufs Bett. Du hast da was.
    Wo.
    Er zeigt auf sein Gesicht. Was hast du denn genascht.
    Nichts. Ich schwinge die Beine über die Bettkante und bücke mich, um mir die Strümpfe hochzuziehen. Ich ziehe ziemlich lange.
    Na, dann auf zum Flughafen, sagt er. Bist du so weit.
    Ich halte den Kopf gesenkt. Jetzt muss ich es ihm beichten: Dad, heute Früh um halb drei – zweifelsfrei – habe ich Onkel Thoby angerufen, den Cluedo-Revolver auf das Telefon gerichtet und ihm gesagt, dass er nicht kommen soll. Ich war stinkwütend. Es tut mir leid.
    Aber das sage ich nicht. Stattdessen ziehe ich weiter meine Strümpfe hoch. Ja. Bin so weit.
     
    U nd siehe da, als ich diesmal an die Wer-ist-da-Wand klopfe, klopft jemand zurück.
    Er ist da!
    Ich nähere mich dem nicht-kanadischen Ausland im Leichttrab bis auf wenige Zentimeter und linse um die Ecke. Er redet mit dem Zollbeamten. Er muss es sein, denn er hat keine zwei gleichlangen Arme.
    Heiliger Lada. Ich wirbele herum, mit dem Rücken zur Wand.
    Mein Dad sieht mich an, als ob er sagen wollte: Was hast du denn.
    Er ist da, sage ich.
    Bist du sicher.
    Ich schließe die Augen. Ja.
    Er tritt hinter der Wand hervor, und es ist wahre Liebe. Er sieht sich um, mit hochgezogenen Augenbrauen. Auch wenn man nur eine Braue sehen kann, weil die andere sich hinter einer Haarlocke versteckt. Außerdem hat er einen kurzen, struppigen Bart. Er zerrt einen Koffer an seinem langen Arm hinter sich her.
    Er sieht uns.
    Mein Dad sagt: Hast du es also doch noch geschafft, gab es irgendwelche Schwierigkeiten, hattest du einen guten Flug et cetera pp. Und Onkel Thoby sagt: Der Zoll. Der Zoll war eine echte Geißel. Er lacht. Kratzt sich den Bart.
    Sie reden durcheinander. Die Wörter fliegen hin und her.
    Ich verstecke mich hinter meinem Dad.
    Oddly. Jemand klopft auf meinen Reithelm.
    Ich hebe den Blick. Da ist er, unter meinem Schirm.
    Aus dem Klopfen wird eine

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