Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
ich auf dem Boden.
Die beiden schnappen erschrocken nach Luft.
Fehlt dir etwas, Schätzchen.
Ich rappele mich hoch und hebe ta-tah-mäßig die Arme. Aber auf einmal bin ich ganz durcheinander und weiß nicht mehr, wer Onkel Thoby ist. Ich vergrabe mein Gesicht am Bauch von meinem Dad. Da ist aber jemand müde, sagt er.
Er nimmt mich auf den Arm und trägt mich nach oben. Schnurstracks ins Bett, samt Rüschenbluse, falschen Knöpfen und IM-BISS-Fleck.
Gute Nacht, Oddly Flowers mit den Wackelpudding-Beinen, sagt er.
So heiße ich nun also. Ich kuschele mich unter die Decke. Und schlafe sofort ein. Oder fast sofort. Ich spüre, wie er an meinem Haarnetz zupft. Ich drehe den Kopf, damit er es mir leichter ausziehen kann. Und als ich den Kopf drehe und die Arme wie ein Korkenzieher verschlinge, sodass sich meine Handrücken berühren, entdecke ich zufällig die beste Schlafstellung aller Zeiten. Wenn sich die Handrücken berühren, fühlen sie sich an wie fremde Hände, aber trotzdem schön. Sie fühlen sich an wie man selbst, nur von außen. Meine Beine sind in Sprungstellung. Ich schlafe in Korkenziehersprungstellung ein. Mein letzter Gedanke ist: Merk dir diese Stellung, damit du sie morgen Abend wiederfindest.
Am nächsten Morgen ist er weg. Auf der Anrichte liegt ein Zettel. Bin spazieren. Bis demnächst. Servus.
Grognard Man hat Probleme mit den Kaffeefiltern.
Ich laufe zum Fenster. Es regnet quer. Die Abzugshaube pfeift. O nein. Er ist abgehauen.
Er tickt noch nach englischer Zeit, sagt mein Dad. Als ob das irgendwas erklären würde.
Komm, wir gehen ihn suchen, sage ich.
Nein, gehen wir nicht.
Und wer ist eigentlich Servus.
Niemand. Servus ist eine Grußformel und heißt so viel wie Guten Tag und Auf Wiedersehen.
Auf meinem Platz steht eine in sechzehn Stücke geschnittene Orange. Ich klettere auf meinen Stuhl. Eine Fruchtfliege kreist wie ein Hubschrauber summend über meinem Teller. Ich vertreibe sie. Sie kommt wieder. Und kracht im Sturzflug in meine Orange.
Mist, verdammter.
Was.
Fruchtf liege.
Haben wir ein Drosophila-melanogaster- Problem, sagt mein Dad. Kannst du mal. Er reicht mir die Filter.
Die Fliegen saßen in den Hecken, sagte ich.
Du sollst doch nicht Hecken sagen.
Ich klaube zwei oder drei Kaffeefilter aus der Packung. Wie denn sonst.
Zimmerpf lanzen.
Als ich Onkel Thoby gestern durchs Haus führte, sagte er, er hätte noch nie Zimmerhecken gesehen. Die sind für dich, sagte ich.
Sie sind wunderschön.
Die Fruchtfliegen wohnen in den Hecken, unternehmen aber täglich Erkundungsflüge in die Küche und suchen nach Essbarem. Sie mögen auch Zahnpasta, was ich ziemlich eklig finde. Mindestens eine Fruchtfliege wohnt im Bad. Nicht zu fassen, dass mein Dad das noch nicht gemerkt hat. Wenn ich in den Badezimmerspiegel sehe, vollführt in neun von zehn Fällen eine Fruchtf liege ein Freudentänzchen knapp über meiner Schulter.
Willst du dir nicht endlich die Zähne putzen.
Nein. Hau ab.
Okay. Sag mir Bescheid, wenn du fertig bist.
Summ, summ.
Sieh dich doch nur mal an, sage ich. Du mit deinen kleinen Fühlern. Du mit deiner Zahnpastasucht. Traurig. Wirklich traurig.
Ich klatsche über meiner Schulter in die Hände, aber sie ist längst in sicherere Höhen entschwunden.
Der Regen hört sich an, als würde er ins Fenster beißen. Ich gleite von meinem Stuhl. Da ist er ja! Auf der anderen Seite des Teichs. Und schlägt sich mit einem Schirm herum. Guck mal, Dad.
Keine Minute später sitze ich auf meinem Fahrrad und fahre holterdiepolter die Verandastufen hinunter. Ich trete fest in die Pedale und halte den Kopf gesenkt wie ein Jockey, um den Luftwiderstand möglichst gering zu halten. Ich stelle mir vor, das Rad sei Rambo. Nach zwei Sekunden bin ich klitschnass. Der Weg ist steinig und matschig zugleich. Ein paar Schnecken mit transportablen Zimmern machen knack. Bitte vielmals um Entschuldigung.
Ich bin die Rettung auf Rädern. Das ist mein Teich. Mein Regen. In Sachen Regenschirme in Neufundland hättest du mich um Rat fragen und eine richtige Führung abwarten sollen.
Er sieht mich. Hebt die Hand. Der Wind hat den Regenschirm umgestülpt. Ich bremse. Locker und lässig. Hallo, sage ich.
Er zeigt auf meine Füße. Du hast ja gar keine Schuhe an.
Vergessen.
Seine Wangen sind rot, rau und nass. Seine angeklatschte Haarlocke sieht aus wie ein Pfeil. Er sieht anders aus als gestern Abend.
Ich zeige auf mein Kinn. Wo ist denn dein …
Habe ich
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