Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
abrasiert.
Warum.
Er hat gejuckt.
Ich schiebe mein Rad neben ihm her. Vorsicht, Schnecken. Tun dir denn nicht die Füße weh. Nein. Er trägt seinen Schirm wie einen toten Freund. Blödes Neufundland, Regenschirmmörder. Ich gebe Neufundland einen barfüßigen Tritt.
Er lacht.
Ich auch.
Einer eurer Schwäne hat mich verfolgt.
Diese Schwäne sind zugewandert. Sie kommen hier oben normalerweise gar nicht vor. Siehst du, was sie für leuchtend rote Schnäbel haben. Du hättest warten sollen, bis ich dich herumgeführt habe.
Er starrt besorgt auf meine Füße. Der Regen pladdert uns so fest ins Kreuz, dass wir fast vornüberfallen. Heilige Mutter Gottes, sagt er.
Nimm’s nicht persönlich.
Als wir nach Hause kommen, liegen fünf tote Drosophila melanogaster in meiner Orange. Onkel Thoby sagt: Die armen Kleinen.
Arm . Blöd. Sie bleiben an ihrem eigenen Futter kleben.
Mein Dad weist mich darauf hin, dass die DNA der Drosophila melanogaster mit der des Menschen zu neunzig Prozent identisch ist.
Onkel Thoby will mir eine frische Orange aufschneiden. Ach übrigens, haben wir zufällig Alka-Seltzer im Haus. Der Kaffee gurgelt. Ja, sagt mein Dad, oben im Bad.
Irgendwie kommt mir alles unglaublich normal vor.
Ich rase die Treppe hoch und hole das Alka-Seltzer. Die Treppe wieder runter. Auf dem Absatz bleibe ich stehen. Ich höre erst die Abzugshaube pfeifen, dann meinen Dad.
B, sagt mein Dad.
Ais, sagt Onkel Thoby.
An meinem Platz steht ein kleines Kunstwerk. Es nennt sich Orange im Schloss. Die Schnitze ragen über die Schlossmauer.
Du musst bei Mitternacht anfangen und im Uhrzeigersinn essen, sagt Onkel Thoby.
Warum.
Weil sich die Orange sonst wieder schließt.
Wie sich herausstellt, hat eine Orange genau elf Schnitze. Fünf auf der einen Seite und sechs auf der anderen. Eine Stunde fehlt. Das ist mir bislang nie aufgefallen, weil mein Dad die Orange immer in sechzehn Stücke schneidet, die ich dann aus der Schale lutsche. Aber eigentlich ist eine Orange innen gar nicht symmetrisch.
Nach dem Frühstück baut Onkel Thoby eine Falle für die Fruchtfliegen und nennt sie die Drosophila-melanogaster-Haftanstalt. Die DMHA ist ein Glas mit einem Orangenschnitz darin, über das er ein Stück Zellophan gespannt hat. In das Zellophan hat er winzige, fruchtfliegengroße Löcher gebohrt. Die Fliegen kriechen durch die Löcher, um an die Orange heranzukommen. Erst feiern sie. Sie tanzen Tango. Aber dann finden sie nicht mehr raus. Und so bleiben sie einfach drin und fliegen immer auf und ab, bis sie ganz perplex und aus der Puste sind.
Als die DMHA schließlich voll ist, tragen wir die Drosophila auf die Veranda und entlassen sie feierlich in die Freiheit. So flieget denn hin, seid fruchtbar und vermehret euch, sagt Onkel Thoby.
Wir machen eine Stadtrundfahrt mit Onkel Thoby und landen schließlich auf dem Signal Hill. Unsere Jacken knattern im Wind, als wollten sie jeden Moment explodieren. Überall hängen Schilder mit der Geschichte von Telegraf Marconi und seinen Funksignalen.
Auf dem Signal Hill gibt es einen rechteckigen Parkplatz. Auf der einen Seite kann man deutlich Neufundland erkennen. Auf der anderen undeutlich England. Ich versuche, Onkel Thoby zur Neufundland-Seite zu lotsen.
Ich zeige ihm, wo meine Schule ist. GOLEM, brülle ich.
Was.
Gott des Lichts und der Ewigen Milde und Barmherzigkeit. Siehst du den Korkenzieher-Jesus auf dem Dach.
Onkel Thoby lacht. Seine Piratenhaare klappen nach oben.
Mein Dad möchte ihm Cape Spear zeigen, was auf der Meerseite liegt. Cape Spear ist der östlichste Punkt des nordamerikanischen Kontinents. Siehst du, wie der Leuchtturm blinkt. Nein, du sollst dir nicht das Meer anschauen, denn das ist eine breite blaue Straße, die schnurstracks zurück nach England führt. Sondern den Leuchtturm, habe ich gesagt. Da vorne ist der Osten zu Ende.
Onkel Thoby nickt.
Österlicher geht es nicht.
Soso.
Ich klettere auf die Steinmauer. Er hält meine Hand und geht neben mir her. Ich habe dir eine Geheimbotschaft geschickt, sage ich. Ist sie bei dir angekommen.
Er guckt mich komisch an. Dann sagt er: Ja, Oddly.
Teil drei
DAS FLUGZEUG IM KELLER
C huck hält mich in seiner ausgestreckten Hand und sagt: Ach, armer Yorick!
Dabei zieht er eine so übertriebene Grimasse, dass ich kaum hinsehen kann. Ein Bursch von unendlichem Humor. Et cetera. Und so roch? Pah!
Es liegt ein gewisse Ironie in der Tatsache, dass ich einen Schädel spielen muss, obwohl
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