Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
Toilette habe übergeben müssen.
Fluchhafen Heathrow.
Mein Dad lacht und nippt an seinem Kaffee. Ich bin anscheinend wieder witzig. Die letzten Tage war ich nämlich gar nicht witzig.
Die Grippe hat ihn fest im Griff, sage ich und trete unter dem Tisch gegen Onkel Thobys Stuhl. Am liebsten würde ich ihm die Beine absägen, damit von Onkel Thoby, wenn er denn jemals kommt, nur noch der Kopf über die Tischplatte schaut. Ich denke an die Vampirsmileys an seinen Bettpfosten und grinse selbst wie ein Vampir.
Was grinst du denn so.
Kriegt der Arm eigentlich auch Fieber, wenn Onkel Thoby welches hat.
Mein Dad will seine Ruhe haben. Folglich hefte ich mich an seine Fersen. Ich gehe mit ihm ins Obacht-Gebäude. Verlaine will mit mir zum Pferdestall, aber ich sage Nein. Ich weiche meinem Dad nicht von der Seite. Ich ziehe höchstens meinen Reithelm an und radle um die Veranda. Ich fahre im Kreis und übe Leichttrab, ohne Takt. Ich fahre die Stufen hinunter und tue so, als wären sie ein Hindernis.
Manchmal fahren wir zum Flughafen und kommen ohne Onkel wieder. Es ist demütigend. Wir sind gedemütigt. Und fühlen uns allein gelassen, wie ein vergessener Koffer auf dem Gepäckkarussell.
Weißt du noch, wie Bibo den anderen Sesamstraßenbewohnern Mr. Snuff leupagus vorstellen wollte. Mr. Snuff leupagus hat ihn jedes Mal versetzt.
Mein Dad und ich spielen Cluedo. Cluedo spielt man eigentlich nicht zu zweit, aber das weiß ich noch nicht.
Weißt du noch, wie Bibo …
Ich verdächtige Oberst von Gatow mit dem Revolver – wo ist denn schon wieder der Revolver – im Billardzimmer.
Ich schaue in meine Karten. Nö. Weißt du noch, wie Mr. Snuffleupagus in der alten Sesamstraße Bibo jedes Mal versetzt hat.
Mein Dad notiert etwas auf seinem Punktezettel. Onkel Thoby ist nicht Mr. Snuffleupagus.
Ist er wohl. Oder warum ruft er nicht an, bevor wir zum millionsten Mal zum Flughafen fahren. Will er uns demütigen.
Der Revolver fehlt, sagt mein Dad und schaut unter dem Spielbrett nach. Wo ist der Revolver.
Als mein Dad ins Bett gegangen ist, schleiche ich mich wieder nach unten. Wedges Laufrad bleibt stehen. Was machst du da.
Das geht dich nix an.
Das Laufrad dreht sich wieder, wenn auch nicht ganz so schnell wie vorher.
Es ist ein Klacks, ein Verbrechen aufzuklären. Ein Kinderspiel. Man nimmt einfach den Hörer ab und drückt die Wahlwiederholungstaste. Dann wickelt man sich in einen Vorhang, um die Stimme zu dämpfen.
Das Tuten klingt wie das Piratenlied. Schenkt ein den Piratensherry.
Hallo.
Du, mit deiner tiefsten Stimme: Ist da Thoby Flowers.
Wie bitte.
Ich habe gesagt, ist da Thoby Flowers.
Wer ist da.
Ich glaube, du weißt genau, wer hier ist.
Ja, ich glaube auch.
Pass auf, du brauchst nicht in ein Flugzeug zu steigen, weder morgen noch übermorgen oder sonst wann. Mir ist es egal, ob du kommst. Meinem Dad übrigens auch. Du und dein selbstgemachter Arm können meinetwegen bleiben, wo ihr seid. Ich habe einen Revolver. Wenn du kommst, könnte es sein, dass ich dich erschieße.
Schweigen.
Hast du mich verstanden, Gnomon.
Gnomon. Tja. Es tut mir leid, dass wir uns auf diese Weise kennenlernen mussten, Oddly.
Wie hast du mich genannt.
Am liebsten würde ich jetzt auflegen. Ich versuche aufzulegen. Aber ich habe mich in dem verdammten Vorhang verheddert. Ich trete um mich, bis ich den Vorhangspalt gefunden habe. Wedge hat aufgehört zu laufen. Er beobachtet mich. Es ist totenstill. Ich lege den Hörer wieder auf die Gabel.
Ich werfe einen monströsen Schatten an die Wand.
Wedge presst seine Händchen gegen das Glas. Soll ich dich in den Arm nehmen.
Ich schüttele den Kopf.
Eigentlich saß ich diesmal schon fast im Flugzeug – ja, danke, Walter, ich bin wieder gesund -, aber dann, um sechs Uhr morgens unserer Zeit, bekam ich einen Anruf von deiner Tochter, die mir dringend nahelegte hierzubleiben, falls ich nicht gleich nach der Landung ermordet werden wolle.
Du musst dich irren, lieber Bruder.
Ungefähr so stelle ich mir die Unterhaltung vor. Ich habe schreckliche Angst. Ich radle langsam um die Veranda, immer rundherum. Mein Dad ist oben und macht ein Nickerchen. Er ist müde vom vielen Telefonieren.
Ich kann Telefone auf den Tod nicht ausstehen.
Onkel Thobys Maschine soll um halb vier landen. Ob er diesmal wohl im Flugzeug sitzt. Ich soll meinen Dad um zwei Uhr wecken. Und wenn nicht. Wenn ich ihn die Landung glatt verschlafen lasse. Was dann. Dann ist zur Abwechslung Onkel Thoby
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