Die Erste Liebe: Nach 19 Vergeblichen Versuchen Roman
wenn man ein ungefähres Verständnis des wahrscheinlichen Verhaltens der Beteiligten hat.«
Hassan holte tief Luft, dann flüsterte er: »Ja. Okay. Das klingt interessant.« Er hätte Colin kein größeres Kompliment machen können.
Lindsey Lee Wells beugte sich vor und nahm Hassan das Notizbuch aus der Hand. Langsam las sie. Am Ende sagte sie: »Was zum Teufel ist K-19?«
Colin stützte sich auf der rissigen Erde auf und rappelte sich hoch. »Das Was ist ein Wer«, antwortete er. »Katherine XIX. Ich hatte neunzehn Freundinnen, die Katherine hießen.«
Lindsey Lee Wells und Colin sahen einander lange in die Augen, bis aus ihrem Grinsen irgendwann ein leises Lachen wurde. »Was?«, fragte Colin.
Sie schüttelte den Kopf, doch sie konnte nicht aufhören zu lachen. »Nichts«, sagte sie. »Gehen wir und sehen uns den Erzherzog an.«
»Nein, sag es mir«, beharrte er. Er hasste es, wenn Leute Geheimnisse hatten. Es nervte ihn, wenn ihn andere ausschlossen – es nervte ihn mehr, als gut war.
»Nein. Es ist nichts. Nur – ich hatte erst einen Freund.«
»Und was ist so lustig daran?«, fragte Colin.
»Lustig ist«, erklärte sie, »dass er Colin heißt.«
Die Mitte (vom Anfang)
Als er in die dritte Klasse kam, war Colins Scheitern im Bereich »soziales Wohlergehen« für alle so augenfällig, dass er nur noch drei Stunden pro Tag am normalen Schulunterricht teilnehmen musste. Den Rest der Zeit verbrachte er mit seinem lebenslangen Tutor Keith Carter, der einen Volvo mit dem Kennzeichen KRAZZZY fuhr. Keith war einer der Männer, die nie aus dem Pferdeschwanzalter herauswuchsen. Außerdem pflegte er einen breiten Schnurrbart zu tragen (oder besser, er pflegte ihn nicht), der ihm über die Oberlippe hing, wenn er den Mund geschlossen hatte, was selten der Fall war. Keith redete gern, und sein bevorzugtes Publikum war Colin Singleton.
Keith war ein Freund von Colins Dad, und er war Psychologieprofessor. Sein Interesse an Colin war nicht ganz selbstlos. Er schrieb über die Jahre eine ganze Reihe von Artikeln über Colins Begabungen. Colin wiederum genoss es, so besonders zu sein, dass die Forschung sich mit ihm befasste. Außerdem war Krazy Keith für ihn das, was einem besten Freund am nächsten kam. Jeden Tag kam Keith mit dem Wagen in die Stadt und setzte sich ab 13.30 Uhr mit Colin in ein wandschrankartiges Büro im dritten Stockwerk der Schule. Während der folgenden Stunden durfte Colin mehr oder weniger lesen, was er wollte, und Keith mischte sich nur ab und zu ein, um eine Frage zu besprechen, und jeden Freitag gingen sie durch, was Colin in der Woche gelernt hatte. Diese Nachmittage machten Colin viel mehr Spaß als der normale Unterricht, unter anderem deswegen, weil Keith nie den strecklichen Iwan mit ihm machte.
Krazy Keith hatte eine Tochter namens Katherine, die ebenfalls in die dritte Klasse ging, auch wenn sie im richtigen Leben acht Monate älter war. Sie besuchte eine Schule im Norden der Stadt, und ab uns zu luden Colins Eltern Krazy Keith und seine Frau mit Katherine zum Abendessen ein, um über Colins »Fortschritte« zu sprechen. Nach dem Essen saßen die Eltern zusammen im Wohnzimmer und lachten immer lauter, je später der Abend wurde, und Keith rief, dass er auf keinen Fall mehr Auto fahren könnte, er bräuchte erst mal einen Kaffee nach dem ganzen Wein. Ihr habt hier eine Tankstelle für Chiantiker , wieherte er.
An einem Abend im November des dritten Schuljahrs, es war schon kalt, aber seine Mutter hatte die Weihnachtsdeko noch nicht rausgeholt, war Katherine wieder einmal dabei. Nach dem Essen – Zitronenhuhn mit braunem Reis – gingen Colin und Katherine ins Wohnzimmer hinüber, wo sich Colin aufs Sofa legte, um Latein zu pauken. Vor Kurzem hatte er erfahren, dass Präsident Garfield, der nicht einmal besonders für seine Intelligenz berühmt war, gleichzeitig Latein und Griechisch schreiben konnte – Latein mit der linken Hand und Griechisch mit der rechten. Colin hatte vor, es Präsident Garfield nachzutun. 20 Katherine, ein kleines blondes Mädchen mit dem gleichen Pferdeschwanz wie ihr Vater und der gleichen Faszination für Wunderkinder, saß still daneben und beobachtete ihn. Colin war sich ihrer Anwesenheit bewusst, doch sie störte ihn nicht, weil es häufiger vorkam, dass Leute ihm beim Lernen zusahen, als hätte er ein geheimes Patentrezept zum Lernen. In Wirklichkeit bestand sein Rezept darin, dass er mehr lernte, und konzentrierter und aufmerksamer war
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