Die Erste Liebe: Nach 19 Vergeblichen Versuchen Roman

an.
    »Mein Gott, Colin, es ist nicht das Ende der Welt.«
    »Es ist das Ende einer Welt«, sagte er.
    »Hast du Angst, dass du an der Uni nicht mehr der Schlauste bist?« Sie lächelte, dann seufzte sie. Plötzlich spürte er ein Ziehen im Bauch – im Nachhinein ein erster Vorbote, dass bald ein Stück von ihm verloren gehen würde.
    »Warum seufzt du?«, fragte er.
    Sie wurden von der Kellnerin unterbrochen, die einen rechteckigen Teller mit California-Maki und Räucherlachs-Nigiri brachte. Katherine zog ihre Stäbchen auseinander, Colin griff nach der Gabel. Er konnte sich fließend auf Japanisch unterhalten, aber wie man mit Stäbchen aß, blieb ihm ein Rätsel.
    »Warum hast du geseufzt?«, fragte er wieder.
    »Ach, nur so.«
    »Nein, sag mir, warum«, sagte er.
    »Du bist so – die ganze Zeit hast du Angst, mittelmäßig zu werden oder sitzen gelassen zu werden oder sonst irgendwas, aber du bist nie auch nur eine Sekunde lang dankbar für das, was du hast. Man hat dich gewählt, um die Abschlussrede zu halten. Du hast ein Stipendium für die Uni. Vielleicht bist du kein Wunderkind mehr. Na und? Umso besser. Dann bist du wenigstens kein Kind mehr. Jedenfalls solltest du das langsam nicht mehr sein.«
    Colin kaute. Er mochte das Algenzeug, in das die Sushi-Rolle eingewickelt war: wie zäh es beim Kauen war und wie raffiniert es nach Meerwasser schmeckte. »Du verstehst das nicht«, sagte er.
    Katherine legte die Stäbchen auf das Schälchen mit der Sojasoße und starrte ihn an mit einem Blick, der schon jenseits von frustriert war. »Warum musst du das immer sagen?«
    »Weil es stimmt«, sagte er schlicht, denn sie verstand es wirklich nicht. Sie blieb schön, sie blieb lustig, und sie würde weiterhin mit Stäbchen umgehen können. Doch ein Wunderkind zu sein war alles, was Colin zu bieten hatte, so wie Mathematik eben nur aus Zahlen bestand.
    Und während des ganzen hässlichen Wortgefechts kämpfte Colin gegen den Drang an, Katherine zu fragen, ob sie ihn noch liebte, denn das Einzige, was sie mehr hasste, als wenn er sagte, dass sie ihn nicht verstand, war, wenn er sie fragte, ob sie ihn noch liebte. Also kämpfte er gegen den Drang an, sie zu fragen, kämpfte und kämpfte, ungefähr sieben Sekunden lang.
    »Liebst du mich noch?«
    »O mein Gott, Colin. Bitte. Wir sind mit der Schule fertig. Wir sind glücklich. Wir feiern hier!«
    »Was ist? Hast du Angst, es auszusprechen?«
    »Ich liebe dich.«
    Sie würde diese Worte nie wieder – nie wieder – in dieser Reihenfolge zu ihm sagen.
    »Kannst du ein Anagramm aus Räucherlachs-Nigiri machen?«, fragte sie.
    »Archaischer Iren-Iglu«, antwortete er nach zehn Sekunden.
    »Müsste es nicht eigentlich archaisches Iglu heißen?«, fragte sie.
    »Nein. Laut Duden kann man das oder der Iglu sagen, beides ist grammatikalisch einwandfrei.«
    Sie lächelte. »Hast du es je satt, wenn ich dich um Anagramme bitte?«
    »Nein. Nein. Ich habe nie etwas satt, das du tust«, sagte er, und dann wollte er sagen, dass es ihm leidtat, aber dass er sich manchmal unverstanden fühlte, und manchmal bekam er Angst, wenn sie sich zankten und sie ihm eine Weile lang nicht sagte, dass sie ihn liebte, doch er riss sich zusammen. »Na ja, mir gefällt archaischer Iren-Iglu. Mach eine Geschichte draus.«
    »Mach eine Geschichte draus« war ein Spiel, das sie erfunden hatte. Colin machte ein Anagramm, und Katherine musste die Geschichte dazu erfinden.
    »Okay«, sagte sie. »Also. Ein Typ aus Grönland fährt zum Angeln nach Irland. Nach ein paar Stunden hat er mehrere Fische gefangen und mächtig Hunger, aber als er am Strand nach einer windgeschützten Stelle sucht, um Feuer zu machen, fängt es fürchterlich zu schneien an, so dass der Typ beschließt, sich für die Nacht ein Iglu zu bauen, wie er es als Kind von seinem Großvater gelernt hat. Am nächsten Tag packt er seine Sachen und macht sich auf den Weg zurück zu seinem Mietwagen. Im Hotel merkt er, dass er sein antikes Messer aus Walfischbein bei den Fischgräten im Iglu vergessen hat, aber da ist es zu spät. Einen Tag später sitzt er im Flugzeug zurück nach Grönland und liest die Schlagzeile in der Lokalzeitung: ›Sensationeller Fund an der Küste von Clare: Archaischer Iren-Iglu‹«
    Sie lachten. Nie hatte er sie so geliebt wie in diesem Moment.
     
    Später, als sie sich auf Zehenspitzen ins Haus schlichen und Colin nach oben ging, um seiner Mutter zu sagen, dass er zurück war, wobei er die möglicherweise nicht