Die Erste Liebe: Nach 19 Vergeblichen Versuchen Roman
ein Stuhl und ein Tisch gehören beide zur »Familie der Möbel«.)
Dahinter steckt folgende Idee: Eine Linie ist nichts weiter als eine Sammlung (eine »Familie«) von Punkten; eine Ebene ist eine Familie von Linien und so weiter. Diese Vorstellung soll uns davon überzeugen, dass, wenn ein einzelner Gegenstand interessant ist (zum Beispiel ein Punkt), es erst recht interessant wird, sich die ganze Familie ähnlicher Gegenstände anzusehen (zum Beispiel eine Linie).
Was uns zur dritten Zutat von Colins Heureka-Erlebnis bringt. Jede Katherine ist anders, woraus folgt, dass jeder Korb, den sich Colin von einer neuen Katherine geben lässt, ein anderer ist als die vorhergehenden. Das bedeutet, egal wie sorgfältig Colin an einer Funktion, an einem Graphen arbeitet, was herauskommt, würde immer nur eine Katherine repräsentieren. Doch Colin will alle möglichen Katherines und ihre Funktionen betrachten – alle gleichzeitig. In anderen Worten, er muss sich die Familie aller Katherine-Funktionen ansehen.
Und genau das war Colins Erkenntnis: Beziehungen können durch Graphen dargestellt werden, Graphen gehen auf Funktionen zurück, und vielleicht war es möglich, alle jene Funktionen gleichzeitig zu betrachten mit einer einzigen (sehr komplizierten) Formel, und zwar so, dass Colin anhand der Formel vorhersagen konnte, wann (und, noch wichtiger, ob) eine potenzielle Katherine ihn sitzen lassen würde. 84
Sehen wir uns ein Beispiel an. Am besten das erste Beispiel, das Colin ausprobiert hat. Die Formel sieht so aus:
Natürlich wirft der Ausdruck eine Menge Fragen auf: Erstens, was ist A?
A ist die Differenz zwischen Sitzenlasser und Sitzengelassenem: Man ordnet jedem Beteiligten eine Ziffer zwischen 0 und 5 zu, entsprechend dem Spektrum seines Herzensbrechens. Wenn man voraussagen will, wie die Beziehung zwischen einem Jungen und einem Mädchen aussieht, nimmt man also zuerst die Sitzenlasser/Sitzengelassener-Tendenz des Jungen und zieht sie von der Sitzenlasser/Sitzengelassener-Tendenz des Mädchens ab, das Ergebnis nennt man A. (Wenn der Junge die Tendenz 2 hat und das Mädchen die Tendenz 4, ist die Differenz A=2.)
Sehen wir nun, welche Wirkung das auf unseren Graphen hat. In diesem Beispiel, wo der Junge eine 2 hat und das Mädchen eine 4, so dass A=2, erhalten wir:
und der Graph sieht so aus:
Wie ihr seht, hält die Beziehung nicht lange, und am Ende wird der Junge vom Mädchen sitzen gelassen (eine Situation, die Colin nur zu gut kennt).
Wäre der Junge stattdessen eine 5 und das Mädchen eine 1, hätten wir A=-4, so dass
mit dem folgenden Graphen:
Die Beziehung ist noch kürzer, auch wenn sie noch intensiver zu sein scheint (der Zacken ist ziemlich spitz), und diesmal lässt der Junge das Mädchen sitzen.
Ob das Ergebnis wahr ist oder nicht, die Formel birgt ein paar Probleme. Zum einen, wenn d=0, wenn also beide gleich große Herzensbrecher sind, erhalten wir:
und dann wäre der Graph nur eine horizontale Linie, an der sich nicht ablesen lässt, wo die Beziehung anfängt und wo sie endet. Ein weiteres, grundlegenderes Problem ist, dass es natürlich absurd ist anzunehmen, Beziehungen wären so einfach und ihre Graphen so gleichförmig. Genau darauf wird Colin irgendwann durch Lindsey Lee Wells’ Hilfe gestoßen. Und aus diesem Grund ist Colins fertige Formel am Ende auch sehr viel komplizierter.
Das Wichtigste lässt sich jedoch schon an unserem Beispiel ablesen: Weil A eine Variable ist, kann diese eine Formel eine ganze Familie von Funktionen darstellen, von der jede eine andere Colin-Katherine-Beziehung beschreiben kann. Und so muss Colin einfach nur mehr Variablen in die Formel einbauen (mehr Zutaten nach der Art von A), damit die Familie der Funktionen, die die Formel einschließt, größer und komplexer wird und damit vielleicht irgendwann die komplizierte, schwer zusammenfassbare Welt der Katherine-Körbe zusammenfasst, was Colin am Ende dank Lindseys Einsicht begreift.
Das war die Geschichte von Colin Singleton und seinem Heureka-Erlebnis und dem Theorem über die Vorhersehbarkeit von Katherines. Ich sollte kurz darauf hinweisen, dass, obwohl kein vernünftiger erwachsener Mathematiker (zumindest keiner, der eine Seele im Leib hat) im Ernst darauf käme, Liebesbeziehungen anhand einer einzigen Formel vorhersagen zu wollen, es tatsächlich jüngste Veröffentlichungen gibt, die in dieselbe Richtung weisen. Namentlich
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