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Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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Reichweite. Ich habe Vertrauen in Dich, Du wirst Dein Ziel erreichen.
    Viel Glück,
    Max
    Keira faltete den Brief und steckte ihn zurück in den Umschlag. Dann stand sie auf, stellte das Geschirr in die Spüle und drehte den Hahn auf.
    »Soll ich dir einen Kaffee machen?«, fragte sie.
    Ich antwortete nicht.
    »Tut mir leid, Adrian.«
    »Was? Dass dieser Mann in dich verliebt ist?«
    »Nein, was er über mich sagt.«
    »Erkennst du dich in der Frau, die er beschreibt?«
    »Ich weiß nicht, vielleicht jetzt nicht mehr, aber seine Ehrlichkeit sagt mir, dass irgendwie etwas Wahres dran sein muss.«
    »Im Grunde wirft er dir vor, dass du lieber dem wehtust, der dich liebt, als an deinem Image zu rütteln.«
    »Glaubst du auch, dass ich egoistisch bin?«
    »Ich bin nicht derjenige, der diesen Brief geschrieben hat. Aber sein Leben weiterzuleben und sich zu sagen, weil es mir gut geht, wird es dem anderen auch gut gehen, alles ist nur eine Frage der Zeit, nun, das finde ich ein bisschen feige. Ich brauche ja wohl dir, der Anthropologin, nicht zu erklären, was es mit dem wunderbaren Überlebensinstinkt des Menschen auf sich hat.«
    »Zynismus steht dir so gar nicht.«
    »Ich bin Engländer, ich denke, das steckt in meinen Genen. Bitte lass uns das Thema wechseln, ja? Ich muss Luft
schnappen und gehe zum Reisebüro. Du möchtest nach Yell, stimmt’s?«
    Keira beschloss, mich zu begleiten. Am nächsten Tag würden wir abfliegen - zunächst nach Glasgow, dann weiter nach Sumburgh auf der Hauptinsel des Archipels. Eine Fähre würde uns nach Yell bringen.
    Mit unseren Tickets in der Tasche schlenderten wir über die Kings Road. Ich habe so meine Gewohnheiten in meinem Viertel und laufe gerne diese Geschäftsstraße hinauf bis zur Sydney Street, um dann durch die Gassen vom Chelsea Farmer’s Market zu schlendern. Dort hatten wir uns mit Walter verabredet. Dieser lange Spaziergang hatte mich hungrig gemacht. Nachdem ich die Menükarte sorgfältig studiert und schließlich einen Hamburger bestellt hatte, beugte sich Walter zu mir vor.
    »Die Akademie hat mir einen Scheck für Sie ausgehändigt. Die Summe entspricht sechs Monatsgehältern.«
    »Und wofür?«, fragte ich.
    »Das ist die schlechte Nachricht. Angesichts Ihrer wiederholten Abwesenheiten haben Sie Ihre feste Stelle verloren und sind nur noch Gastdozent.«
    »Mit anderen Worten, ich bin entlassen?«
    »Nein, so kann man das nicht sagen; ich habe mich, so gut ich konnte, für Sie eingesetzt, doch wir befinden uns mitten in einer Haushaltskrise, und der Verwaltungsrat wurde einberufen, um alle überflüssigen Ausgaben zu streichen.«
    »Muss ich daraus schließen, dass ich in den Augen der Direktion eine überflüssige Ausgabe bin?«
    »Adrian, die Ratsmitglieder kennen nicht mal Ihr Gesicht. Sie haben seit Ihrer Rückkehr aus Chile so gut wie nie den Fuß in die Akademie gesetzt. Das müssen Sie verstehen.«
    Walters Miene verfinsterte sich weiter.

    »Was noch?«
    »Sie müssen Ihr Büro räumen. Man hat mich gebeten, Ihre Sachen zu Ihnen nach Hause schicken zu lassen. Schon nächste Woche wird es jemand anders beziehen.«
    »Man hat also bereits einen Ersatz für mich eingestellt?«
    »Nein, nicht ganz. Vielmehr wird das Semester, das Ihnen zugeteilt war, von einem Ihrer Kollegen übernommen, der besonders engagiert ist. Er braucht einen Raum, in dem er seine Seminare vorbereiten, die Klausuren korrigieren, seine Studenten empfangen kann … Ihr Büro ist da genau das Richtige.«
    »Dürfte ich erfahren, wer dieser charmante Kollege ist, der mich vor die Tür setzt?«
    »Sie kennen ihn nicht. Er ist erst seit drei Jahren an der Akademie.«
    Walters letzte Bemerkung machte mir klar, dass mich die Verwaltung heute für die allzu große Freiheit zahlen ließ, die ich mir herausgenommen hatte. Walter war am Boden zerstört, Keira wich meinem Blick aus. Ich nahm den Scheck, fest entschlossen, ihn noch am gleichen Tag einzulösen. Ich war wütend, konnte die Schuld aber nur bei mir selbst suchen.
    »Der Shamal hat bis nach England geblasen«, murmelte Keira.
    Diese kleine bittere Anspielung auf den Wind, der sie von ihren Ausgrabungen in Äthiopien vertrieben hatte, zeugte davon, dass sich die Spannungen von heute Morgen noch nicht ganz gelegt hatten.
    »Was haben Sie vor?«, wollte Walter wissen.
    »Nun, da ich jetzt arbeitslos bin, werden wir reisen können.«
    Keira widmete sich ganz ihrem letzten Stück Fleisch, und ich glaube, sie hätte auch den Teller verspeist, um

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