Die erste Nacht - Roman
Barajas; MOSKAU hatte Sir Ashton angeboten, ihn in seinem Privatflugzeug mitzunehmen, doch der Lord hatte noch einiges in Spanien zu erledigen.
Moskau
Für meinen Geschmack waren viel zu viele Polizisten auf dem Bahnhof. Wohin wir auch gingen, ob zu den Gleisen, zu den fliegenden Händlern oder zu den Schließfächern, überall standen sie herum und beobachteten die Menschenmenge. Keira spürte meine Sorge und versuchte, mich zu beruhigen.
»Wir haben schließlich keine Bank überfallen!«, sagte sie. »Wenn ein Polizist im Zuge der Ermittlungen unser Hotel kontrolliert, ist das eine Sache, aber anzunehmen, sie hätten, wie bei Schwerverbrechern, Bahnhöfe und Flughäfen abgesperrt, finde ich wirklich übertrieben! Und woher sollten sie wissen, dass wir hier sind?«
Ich bedauerte, die Fahrkarten über das Interconti reserviert zu haben. Wenn der Beamte, der uns verfolgte, eine Kopie der Rechnung in die Hand bekommen hätte - und ich hatte allen Grund anzunehmen, dass dem so war -, brauchte er keine zehn Minuten, um die Empfangsdame zum Reden zu bringen. Ich teilte also Keiras Optimismus nicht und befürchtete, dass die Ordnungshüter unseretwegen hier waren.
Die Reihe der Fahrkartenautomaten war nur wenige Meter entfernt. Ich warf einen raschen Blick zu den Schaltern. Wenn meine Vermutung zutraf, waren die Angestellten bereits informiert und würden den ersten Ausländer melden, der sich präsentierte.
Vor uns lief ein Schuhputzer mit seinem Bauchladen, auf der Suche nach einem Kunden, dessen Schuhe er wienern könnte.
Er war schon mehrmals an mir vorbeigegangen und hatte auf meine Stiefel geschielt. Ich winkte ihn heran und schlug ihm ein ganz anderes Geschäft vor.
»Was machst du da?«, fragte Keira.
»Ich überprüfe etwas.«
Der Schuhputzer steckte die Dollarnoten ein, die ich ihm gegeben hatte. Sobald er unsere Fahrkarten aus dem Automaten geholt hätte, versprach ich, ihm noch einmal die gleiche Summe zu geben.
»Ganz schön gemein, diesen armen Kerl zu gefährden, indem du ihn deine Sachen erledigen lässt.«
»Er geht kein Risiko ein, denn wir sind ja keine Schwerverbrecher!«
Sobald der Mann unseren Buchungscode eingegeben hatte, hörte ich die Walkie-Talkies verschiedener Polizisten knistern, eine Stimme brüllte Befehle, deren Sinn ich erriet. Keira begriff, was vor sich ging, und schrie unserem Schuhputzer zu, er solle verschwinden. Ich hatte gerade noch Zeit, sie beim Arm zu packen und in eine Ecke zu ziehen. Vier uniformierte Polizisten kamen an uns vorbei und liefen auf die Fahrkartenautomaten zu. Keira war wie erstarrt, doch wir konnten nichts mehr für den Mann tun, dem man schon Handschellen angelegt hatte. Ich beruhigte sie, die Polizei würde ihn höchstens ein paar Stunden lang festhalten, unsere Beschreibung hingegen in wenigen Minuten durchgeben.
»Zieh deinen Mantel aus«, befahl ich, während ich selbst aus meinem schlüpfte.
Ich packte beide in eine Tasche und zog stattdessen zwei dicke Pullover heraus, von denen ich ihr einen reichte. Dann legte ich den Arm um ihre Taille und zog sie zu den Schließfächern. Ich gab ihr einen Kuss und bat sie, hinter einem Pfeiler zu warten. Von dort beobachtete sie, wie ich direkt auf die
Fahrkartenautomaten zusteuerte. Das aber war genau der Ort, an dem die Polizisten uns am wenigsten suchen würden. Ich drängte mich durch die Menge, entschuldigte mich höflich bei einem Beamten, damit er mich durchließ, und erwischte zum Glück einen Automaten, der für die Touristen Anweisungen auf Englisch gab. Ich kaufte zwei Tickets, bezahlte in bar und kehrte zu Keira zurück.
Die Beamten, die von der Bahnhofszentrale aus die Transaktionen an den Automaten überwachten, nahmen keine Notiz von mir.
»Was sollen wir in der Mongolei anfangen?«
»Wir nehmen, wie geplant, den Transsibirien-Express, und wenn wir einmal drin sind, erkläre ich dem Schaffner, wir hätten uns geirrt und bezahle, wenn nötig, die Differenz.«
Doch die Partie war noch nicht gewonnen, wir mussten zunächst zu unserem Wagen gelangen. Die Polizisten verfügten sicher nur über eine vage Personenbeschreibung - höchstens über eine Fotokopie unserer Passbilder - heikel aber würde es, sobald wir uns dem Zug näherten. Um nicht unnötig die Aufmerksamkeit der Ordnungskräfte zu erregen, die ja nach einem Paar suchten, lief Keira fünfzig Schritte vor mir her. Der Transsibirien-Express würde um 23:24 Uhr den Bahnhof Richtung Irkutsk verlassen, uns blieb also nicht mehr viel
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